Derselbe Faust merkt dann in der Tragödie zweiter Teil an, dass dem Tüchtigen die Welt nicht stumm ist. Stumm ist hier offensichtlich negativ besetzt. Interpretiert man es anders, müsste da stehen, dass auch der Tüchtige nicht verhindern kann, dass die Welt stumm ist. Das ist auch etwas, was man vom Geist erwartet. Dass er die Welt zum Sprechen bringt, dass die Welt bedeutsam ist. Rebus sic stantibus kann man sagen, vom Geist wissen wir weder wo er herkommt, noch wo er hin will, noch was wir von ihm erwarten.

Was Aussagen wie „Sprache drückt eine Seele aus“ etc. angeht, sollte man den Ball flach halten. Zum einen sind prägendes psychische Zustände sprachlos, sind Prozesse, zum anderen haben wir in der Dichtung das Phänomen, das erst dann gesprochen wird, wenn es mit Worten nicht gesagt werden kann. Zitierwissenschaftler neigen dazu, der Sprache eine ganz große Bedeutung beizumessen. Wir werden noch sehen, dass die Sprache das Harmloseste an diesem ganzen Tohuwabohu ist.

Das folgende ist also eine Zusammenfassung der Erfahrungen des Autors mit dem Geist. Aus Marketingsicht, aus der Sicht von jemanden, der so Krimskrams tatsächlich studiert hat, wobei die Zitierwissenschaftler nach dem zweiten Semester in die Kategorie United Schwachmatiker Orchestra einsortiert wurden, und aus der allgemeinen Beobachtung der Zeitläufe. So ein Seminar der Geisteswissenschaften, das hat was, ästhetisch gesehen. Ähnelt einem Friedhof mit lauter Untoten, die in ihren Gräbern keine Ruhe finden können. Nebenbei hat der Autor noch Volkswirtschaftslehre studiert und dabei zu seinem Entsetzen, oder Belustigung, also je nach Stimmung, festgestellt, dass es auch da einen Kanon gibt. Es gibt hier systemische Probleme, auf die wir dann näher eingehen werden. (Nicht so gründlich wie hier, www.economics-reloaded.de, da hat sich der Autor mal ausgetobt zu der Thematik, sondern kurz und bündig.) Je nach Blickwinkel, von dem man aus das Probleme betrachtet, könnte man die Geisteswissenschaften auch Kontemplationswissenschaften oder Diskussionswissenschaften nennen.

Wir werden das Wort Geist im Folgenden in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen verwenden. Mal als Kraft, die etwas hervorbringt, mal als Resultat dieser Kraft. Wir lassen auch offen, was vom Geist erwartet wird. Auch hier haben wir eine weite Bandbreite an Möglichkeiten. Mit dem Geist ist das ein bisschen so, wie mit der Sprache. Nur insofern sie sich konkret und sinnlich erfahrbar materialisiert, lassen sich darüber Aussagen machen. Wie das Gehirn sprachlichen Input verarbeitet bzw. die Realität verbalisiert, ist völlig unklar. Wir können auch ohne weiteres feststellen, dass es bei sprachlichen Äußerungen etwas gibt, was konkret nicht fassbar ist, den Stil, aber wir können nicht sagen, was das ist.

Andere eingeführte Begriffe wie Bewusstsein, Charakter, Seele etc. wären ähnlich vage, würden den Assoziationsraum aber einschränken, von daher bleiben wir beim Geist. Im Grunde gehen wir davon aus, dass der Leser über so was wie Intuition verfügt, von dem wir auch nicht wissen, was es ist, dessen Existenz aber, wie wir noch sehen werden, sich ebenfalls nachweisen lässt. Ohne Intuition wäre der Geist wohl auch gar nicht möglich, denn Dichtung entspringt der Dämmerung. Wir wissen nicht, was Intuition ist, aber allein schon die Tatsache, dass es hierfür ein Wort gibt, dass also intersubjektiv eine Vorstellung darüber besteht, was dieser Begriff bedeutet, verdeutlicht schon, dass es das gibt. Ein Knackpunkt der ganzen Problematik ist, dass im Bereich der Geisteswissenschaften sehr viele Leute unterwegs sind, die eben über keine Intuition verfügen.

Selbstverständlich handelt der Text auch von durch Introspektion, ein anderer Begriff, von dem kein Mensch weiß, was er bedeutet, der aber was bedeuten muss, andernfalls, wenn er nicht intersubjektiv vergleichbar wäre, gäbe es ihn gar nicht, gewonnenen Erkenntnissen über den Geist und Beobachtungen, wie andere Leute damit umgehen. Der Text ist also ein Beweis dafür, dass verstehen in den Geisteswissenschaften und verstehen in den Naturwissenschaften zwei ganz verschiedene Dinge sind.

Wenn du es nicht erfühlst,
so wirst du’s nicht erjagen

heißt es bei Goethe. Praktischer wäre natürlich, auch aus didaktischer Sicht, wenn es einen geraden, rationale Weg zu den Quellen gäbe. Den scheint es aber nicht zu geben. Wir halten uns also an die second best Lösung. Das irrlichtert dann zwar ein bisschen, aber das Problem lässt sich dann einkreisen. Das ist ja schon mal was.

(Wobei: Nicht dass man das in den falschen Hals bekommt. Also intersubjektive Nachvollziehbarkeit sollte man schon anstreben. Sonst hat man das freie Assoziieren im Raum, bei herabgesetzter Denkleistung, wie es bei Musil heißt. Das ist dann total gaga. Also der Autor hat jetzt nicht um einen Persilschein gebettelt. Soll nochmal gesagt werden, nicht dass man das falsch versteht.)

Seiten: 1 2 3 4 5 6 7 8