Die alte Diskussion, ob das Sein das Bewusstsein bestimmt, ist um eine dritte Variante bereichert. Marx meinte ja bekanntlich, dass die konkreten Lebensumstände das Bewusstsein determinieren, was man ja bestreiten kann. Ein verändertes Bewusstsein verändert das Sein und diese Sichtweise ist empirisch belastbar eher darstellbar. Das ist schon deswegen so, weil in einer Demokratie das Bewusstsein der Leute das Sein qua Wahl ändern kann. Zumindest wenn die Wähler sich mal ernsthaft um ihre Probleme kümmern und sich nicht mit gangsta rap oder der Liebeslyrik von Giacomo Leopardi befassen. In der Blase allerdings gibt es gar keinen Zusammenhang mehr zwischen Sein und Bewusstsein, da herrscht im Bewusstsein Beliebigkeit, die beiden laufen gelangweilt nebeneinander her. Das tobende Leben ist was anderes.

Vermutlich fällt den geistlichen Hohepriestern nicht mal auf, dass das Problem im Faust angelegt ist. Mephistopheles spottet zwar über die Geisteswissenschaften:

Habt Euch vorher wohl präpariert,
Paragraphos wohl einstudiert,
Damit Ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert, Euch der Heilig Geist!

Im Grunde sind die Geisteswissenschaften Zitierwissenschaften, die sich streng an Zitate halten, „dass er nichts sagt, als was im Buche steht“. Das Zitat bürgt für Wahrheit, nicht die empirische Belastbarkeit. Allerdings sieht Mephistopheles, ein Umstand, der ihn ärgert, dass allein das Festhalten an der Vernunft die Menschheit vor dem Absturz bewahren kann. Nachdem Faust an der akademischen Wissenschaft erst mal gescheitert ist, die eben nicht gerade das tobende Leben ist, und nun das tobende Leben ganz woanders sucht, murmelt Mephistopheles bei dessen Abgang vor sich hin:

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
So hab ich dich schon unbedingt –

Mephistopheles zweifelt nicht an der Bildung, aber mit dem ihm eigenen Mutterwitz, macht er sich über die akademischen Gepflogenheiten lustig. Das Werk hatte nun reichlich 200 Jahre Zeit, um die message an den Mann zu bringen, die finanziellen Mittel, die in die Vermittlung der message geflossen sind, waren üppig, aber wir haben es mit einem strukturellen Problem zu tun. Wenn die Erkenntnis keine Vorteile bringt, unterbleibt sie. Es gibt  noch etwas, was man lassen könnte. Wenn etwas glasklar und unmissverständlich in einem Text steht, dann braucht man nicht lange umständlich über die Bedeutung philosophieren.

Man wird an den Schulen nicht alle Kids von der Bedeutung des Geistes überzeugen können. Wo mangels mangelnden Interesses an der Realität keine Vorerfahrung vorhanden ist, bzw. der Horizont sehr eng ist, ist nichts zu machen. Die Chancen steigen aber, wenn Dinge behandelt werden, die von den Kids als reales Problem verstanden werden, bzw. eine Ästhetik haben, die begeistert. So kann man dann irgendwann eine Brücke zum Kanon schlagen und unter Umständen den Abstraktionsgrad erhöhen, bzw. bestimmte Konstellationen als typisch darstellen. Das Problem ist, dass die Vermittlung des Geistes in keinem geisteswissenschaftlichen Fachbereich, nicht in Geschichte und nicht in den Philologien, thematisiert wird. Was der Geist ist, muss man hierbei nicht klären, die Relevanz des Geistes ist offensichtlich. Geklärt werden muss allerdings, was er nicht ist.

Bekanntlich findet Adorno die völlig Ungebildeten sympathischer, als die Halbgebildeten. Die völlig Ungebildeten stellen noch radikale Fragen, auf die man nicht mit Worthülsen antworten kann. Die radikale Ablehnung verweist aber auf die Suche nach Authentizität. Der Halbgebildete hat diese noch nie erfahren. Hat ein Geisteswissenschaftler einen authentischen Bezug zum Geist, steigen die Chancen erheblich, diesen auch zu vermitteln. Es werden ihm dann auch relevante Beispiele einfallen, an denen sich die Bedeutung und Relevanz des Geistes erläutern lässt.

Seiten: 1 2 3