Adorno definiert Halbbildung über die etwas verquere marxistische Logik der Trennung zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Waren haben im Marxismus einen Wert, weil in ihnen Arbeit inkorporiert ist und in dem Maße, wie in ihnen Arbeit inkorporiert ist, lassen sie sich gegen andere Waren tauschen. Relevant ist also nicht mehr der Gebrauchswert, sondern der Tauschwert, der Wert, der ihnen wirtschaftlich zukommt. Das ist zwar reiner Blödsinn, weil es völlig egal ist, wie viel Arbeit in einem Produkt steckt, wenn nach diesem keine Nachfrage besteht, bzw. der Marktpreis nicht so hoch ist, dass er zumindest die Selbstkosten deckt. Anwendbar ist die Idee aber auf die Halbbildung. Der halbgebildete setzt Bildung ein als Instrument, will durch Bildung die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe dokumentieren, die Bildung hat also keinen Gebrauchswert, also etwas, was ihm aufgrund seiner individuellen Beschaffenheit zukommt, sondern lediglich einen Tauschwert. Bildung als Tauschwert setzt keinen Individualisierungsprozess voraus. Es reicht, dass die Fakten bekannt sind, wobei sich die Bedeutung des geistigen Artefaktes eben nicht aus den Fakten entnehmen lässt. Geisteswissenschaftler wettern immer mal wieder gegen den bösen Kapitalismus, wo nur noch konsumiert wird. Unabhängig davon, dass sie eigentlich Marktwirtschaft meinen, was etwas völlig anderes ist, denn Kapital ist letztlich Geld und Geld kann jede Zentralbank ohne Zutun eines einzigen Proletariers in jeder x-beliebigen Menge drucken und sollte dies tun, solange dieses Geld durch ein Produktionspotential gedeckt ist, ist der sinnfreie Konsum weniger kapitalistisch als die Produktion pseudowissenschaftlichen Quarks zur Förderung der Karriere. Nach den Produkten des Kapitalisten, also eigentlich des Unternehmers, besteht wenigstens noch eine Nachfrage, während der pseudowissenschaftliche Quark schlicht niemanden interessiert und dessen Produktion eingestellt würde, wenn es nicht genug Unternehmer gäbe, die zur Finanzierung zwangsverpflichtet werden. Man kann der kapitalistischen Gesellschaft durchaus vorwerfen, dass sich dort alle verkaufen, also mit allem Drum und Dran, Werte, Überzeugungen, Neigungen und alles was das Individuum so ausmacht. Allerdings ist das ganz in der Logik der Geisteswissenschaften, wo Geist gegen einen Gegenwert verkauft wird. In beiden Fällen erfolgt eine Anpassung an die Gegebenheiten des jeweiligen Marktes, wobei der dieser Markt nur existiert, solange es zwangsverpflichtete Nachfrager gibt, also den Steuerzahler.

Man kann es auch anders formulieren. Die Halbbildung ist extrinsisch motiviert, ist nicht Selbstzweck. Insofern sie im institutionellen Rahmen vermittelt wird, dient sie dem Fortgang der Karriere, die Inhalte sind für alle Beteiligten weitgehend egal und beliebig, für Schüler sowieso. Warum in diesem Bereich überhaupt Prüfungsleistungen zu erbringen sind, ist etwas schleierhaft. Nachvollziehbar sind anerkannte Prüfungen und damit einhergehend die Erlaubnis einen bestimmten Beruf auszuüben, wenn die Öffentlichkeit ein Interesse an einem Standard hat. Das ist z.B. bei Medizin der Fall oder bei einem Elektromeister. Die Öffentlichkeit ist daran interessiert, dass nur Ärzte operieren, die nach dem jeweiligen Stand der Technik und Forschung den Erfolg einer Behandlung gewährleisten können, alles andere wäre unter Umständen tödlich. Fängt die Wand an zu glühen, weil die Stromkabel für die Belastung, die der Anschluss eines Elektroherdes mit sich bringt, nicht ausgelegt sind, wird unter Umständen die ganze Bude abgefackelt. Ob aber Karl Mohr mit Luise Miller ein Techtelmechtel hat und Ferdinand mit Amalia oder umgekehrt ist für die breite Öffentlichkeit egal. Bei schnellem Überfliegen eines Wikipedia Artikels kann man das mit dem Personal schon mal durcheinanderbringen und eine Gefahr für die Öffentlichkeit ergibt sich hieraus nicht. In diesem Kontext kann man die Leute nicht zu ihrem Glück zwingen. Schüler können aber in der Schule lernen, dass Bildung einem klaren Zweck hat. Der Abiturschnitt ist wichtig für die Karriere, mit Anette von Droste Hülshoff verbessert sich der vielleicht um einen Punkt. Unmittelbarer ist der Karrieresprung natürlich bei „Wer wird Millionär“, da gibt es unter Umstände für die Antwort, auf die Frage, wo Anette von Droste Hülshoff gestorben ist, eine Million Euronen.

Dass Bildung ein problematisches Produkt ist und kaum dem entspricht, was in staatstragenden Reden verkündet wird, wissen wir aus zwei Diktaturen und dem modernen Lauf der Zeit. Das ist empirisch belastbar darstellbar. Wir wissen zwar nicht, was es ist, aber wir wissen, dass es nicht das ist, was in Sonntagsreden darüber berichtet wird. Wir wissen auf der anderen Seite, dass eine Nachfrage, danach besteht. Das erfahren wir spätestens dann, wenn wir uns vor der Alhambra in Granada mit japanischen Touristen unterhalten. Die machen Europe in two weeks, drei Tage Rom, 2 Tage Florenz, 1 Tag München, 1 Tag Madrid, 2 Tage London etc.. Also irgendwas suchen die, denn das Programm ist harte Arbeit. Irgendwas, was Rilke beschreibt.

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