Wir reden hier nicht vom Geist aus der Flasche oder Aladins Wunderlampe, das ist zwar auch ein Geist, ein weiterer aus der langen Reihe der Geister, aber was anderes. Wir reden hier von etwas, das in dem Wort Geisteswissenschaften steckt, wobei kein Mensch weiß, was das eigentlich ist. Der Begriff an sich ist eigentlich gar nicht so übel, denn er verweist schon auf das Mysterium. Im spanischen Begriff humanidades, das verweist auf das Menschliche, bzw. im Französischen lettres, das verweist auf Buchstaben oder das englische arts, das verweist auf Kunst, wird der Gegenstand des tiefsinnigen Sinnens älterer Herren und Damen schon eingeschränkt bzw. verengt. Ein diffuses Ding mit einem diffusen Begriff zu benamen ist garkeine so schlechte Idee.

Das Menschliche, der Buchstabe, die Künste sind für das Ding zu konkret. Wir kommen gleich darauf zurück. In der Sache meinen die humanidades, die lettres und die arts dasselbe. (Wobei die französische Variante die skurrilste Variante ist. Lettres modernes entspricht mehr oder weniger dem, was im deutschsprachigen Raum Literaturwissenschaft ist, wörtlich übersetzt heißt es aber „moderne Buchstaben“, zumindest leitet sich lettre von Buchstaben ab, die erweiterte Bedeutung kam erst später. Wir zweifeln ja schon, siehe unten, am Primat der Sprache, aber im Französischen haben wir sogar den Primat des Buchstabens.) Vielleicht auch nur den Geist aus der Dose, also den Instant Geist oder den kastrierten Geist, aber das ist ein anderes Thema. Was das angeht sind die Unterschiede zwischen den Geisteswissenschaftlern, den licenciados en humanidades oder den hommes des lettres marginal.

Richtig ist nur, dass es zum deutschen Wort Geist keine Entsprechung in anderen Sprachen gibt, also es gibt kein Wort, das ein derartig breites semantisches Feld hat. Das deutsche Wort Geist wird in andere Sprachen mit etwas übersetzt, das man intuitiv nur mit dem Menschen verbindet, im Spanischen z.B. humanidades, im Plural, das wären dann die Menschlichkeiten (sic!), abgeleitet von humanidad, die Menschheit. Dazu gibt es wiederum das Adjektiv humano, also menschlich, wobei sich menschlich nicht mit humano deckt. Humano ist eine moralische Kategorie, und hat ein Gegenstück in inhumano. Das ist im Deutschen nicht so. Irren ist zwar menschlich und moralisch unkritisch, aber unmenschlich bezeichnet ein Verhalten, für das der Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag zuständig ist.

Von dem Autor darf man jetzt keine Hymne auf die deutsche Sprache erwarten, eine Sprache ist halt eine Sprache, und dass das Deutsche jetzt wirklich eine beeindruckende Menge an Komposita mit Geist kennt, Substantive wie Adjektive, bedeutet schlicht: gar nichts. Fans der Volksseele, davon gibt einen Haufen, werden wahrscheinlich euphorisch und sind ahnungsvoll erschüttert, ob der Menge an geistreichen Wörtern im Deutschen, aber die zahlreichen geistvollen Umschreibungen sind so hohl wie eine hohle Nuss. Nichts mit germanischer Seele. Wir haben höchstens ein Gemüt, das ergriffen sein will, aber dafür braucht es nichts Konkretes, was ergreifen könnte. Wohin schaut der Mönch am Meer? Genau! Er schaut ins: Leere. Das lässt seinen Busen jugendlich erschüttern.

Der Fall Wilhelm von Humboldt ist zwar kompliziert, aber hier liegt er falsch. Sprachen sind eher eine Stilfrage; soll heißen, sie haben eine Farbe. Die Behauptung, dass sich in der Sprache ein besonderer Nationalcharakter ausdrückt, dürfte sich kaum empirisch belastbar darstellen lassen. Hier liegt er also falsch.

So wie eine einzelne Sprache das Gepräge der Eigentümlichkeit der Nation an sich trägt; so ist es höchst wahrscheinlich, dass sich in dem Inbegriff aller Sprachen die Sprachfähigkeit, und insofern derselbe davon abhängt, der  Geist des Menschengeschlechts ausspricht.

Wäre dies zutreffend, dann müsste sich auch in Dialekten ein „Geist“ aussprechen. Unstrittig richtig ist, dass Dialekte, etwa Schwäbisch, ein ziemlich starkes Colorit haben, so stark, dass literarische Texte auf Schwäbisch nur möglich sind, wenn das spezifische Colorit, also das Bodenständige, Konkrete, die geringe Neigung zu philosophischen Abschweifungen, ausgenutzt werden soll. Unstrittig ist, dass „Brettle bohre, net end Luft guka“ wirkungsvoller ist als „Bretter bohren und nicht in die Luft schauen“, weil hier das schwäbische Colorit den Inhalt unterstützt, aber das ist eine Frage des Stils, nicht des Geistes.

(Die ganze Thematik wollen wir hier nicht vertiefen. Humboldt geht es offensichtlich um die Gleichrangigkeit der Sprachen und Kulturen. In der Summe spiegeln sie wider, was der Mensch ist. Dem kann man zustimmen. Chomsky allerdings geht von der strukturellen Ähnlichkeit von Sprachen aus und diese strukturelle Ähnlichkeit versucht der Autor dieser Zeilen in den Sprachportalen didaktisch auszunützen. Teilweise liegt Humboldt aber auch richtig. Es ist ein Fehler, die Sprache unter Abstraktion des Subjekts, das sie hervorbringt, zu analysieren. So kann man in der Computerlinguistik vorgehen, nicht aber, wenn es um andere Fragen geht, etwa den Erwerb der Muttersprache oder einer Fremdsprache; oder wenn es um die ästhetische Wirkung von Sprache geht. Die These, dass Sprache eine bestimmte Sicht auf die Welt determiniert, wird öfter mal vertreten, z.B. wird angeführt, dass manche Sprachen keine Zahlen kennen, manche Sprachen links und rechts nicht kennen und hierfür die Himmelsrichtungen nutzen, manche Sprachen sehr viele Wörter für etwas kennen, wofür es in anderen Sprachen nur ein Wort gibt, z.B. unterscheiden die Inuit sehr viel genauer beim Schnee etc. etc.. Das ist alles zutreffend, aber die Sprache ist dann nicht die Ursache, sondern die Folge. Ist aber im Moment alles nicht unser Thema.)

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