Wer Geist am Markt verkaufen will, hat ganz andere Probleme als verbeamtete Zitierwissenschaftler. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass man gezwungen wird, den Geist mal ganz fundamental zu hinterfragen. Der Nachteil ist natürlich, dass man keine Kunden hat, die einem der Staat qua Gesetz nach Hause liefert. Staatstragende Sonntagsreden, wie man sie von Bundespräsidenten und sonstigen Organen bei allen möglichen feierlichen Anlässen hört und die dann medial gehyped werden, helfen da auch nicht. An der Front ist der Geist eine tabula rasa. Der Geist wird zum Marketingproblem.

Was den Autor aber schon viel länger beschäftigt, ist was anderes. Geist, also das Wahre, Schöne und Gute oder was auch immer, ist ja bekanntlich, wenn man das noch irgendwie mit Moral verbindet, grandios gescheitert. Geist, Kultur, Bildung, Zivilisation, Vernunft etc.. irgendwie ist das alles miteinander verbandelt, soll ja die Grenze zum Wilden markieren. Das scheint nicht zu klappen, wie schon Goethe vor über 200 Jahren feststellte. (Wobei Goethe nur die Soft-Variante der Barbarei kannte.)

Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Es gibt also massive Gründe, die Art, wie der Geist vermittelt wird, zu hinterfragen. Der Autor dieser Zeilen ist Volkswirt. Volkswirte sind absolute Anhänger empirisch belastbarer Thesen und manche Aspekte rund um das Thema Geist wären empirischen Methoden durchaus zugänglich. Untersuchungen könnte man z.B. ob mit der Subventionierung der Opernhäuser und Theater, allein in Berlin sind das 180 Millionen Euronen pro Jahr, die intendierten Ziele tatsächlich erreicht werden oder ob eine Kürzung nicht lediglich zu einer effizienteren Leistungserstellung führen würde. Z.B. könnte man Opernhäuser an private Unternehmen vermieten, wenn dort gerade keine Aufführungen stattfinden oder international stärker kooperieren, was zu einem breiteren Angebot bei geringeren Kosten führen würde etc.. Empirisch belastbare Aussagen ließen sich auch über die Didaktik bei der Darstellung des Geistes machen. Z.B. könnte man die Studis der Zitierwissenschaften, die Lehrer werden wollen, fragen, ob sie den Eindruck haben auf ihre zukünftige Tätigkeit, der Darstellung des Geistes in Schulen, durch die Universität vorbereitet zu werden. Fragen könnte man natürlich auch, inwiefern Institutionen wie das Goethe Institut, das kostet den Steuerzahler jedes Jahr 220 Millionen Euronen, und davon gibt es einen ganzen Haufen, seine Ziele so klar definiert hat, dass der Zielerreichungsgrad quantitativ bzw. qualitativ bewertet werden kann. Für das Goethe Institut wäre der Versuch, den Zielerreichungsgrad zu messen natürlich Blasphemie, aber in dieser unserer Welt ist eben der effiziente Mitteleinsatz das Maß aller Dinge. Und das ist gut so. Solche empirischen Analysen wären sicher aufschlussreich, würden aber immer nur Teilbereiche abdecken und auch nicht den Kern der Problematik betreffen.

Zu Geist, Bildung, Kultur, Zivilisation verhalten sich alle Leute irgendwie und verbinden damit völlig unterschiedliche Dinge. (Die konkreteste Vorstellung davon haben natürlich die verbeamteten Zitierwissenschaftler. Ist der Kanon gegeben, gibt es auch jemanden, der für die Vermittlung desselben Geld austütet.) Die Bandbreite reicht von „sapere aude“ über „erkenne dich selbst“ und „Erziehung nach Ausschwitz“ bis zu „ein Kunstwerk schaffen, heißt eine Welt erschaffen“ und vieles andere mehr. All das ist irgendwie Geist, Bildung, Kultur, Zivilisation bzw. soll dies fördern. Natürlich gibt es auch das humboldtsche Bildungsideal. Das ist dann der klavierspielende Elektroingenieur, der zwei Fremdsprachen spricht, in seiner Freizeit Bilder malt, den Marathon in drei Stunden läuft und sich als Staatsbürger engagiert. Oder irgendwas in der Art.

Um sich klar zu machen, wie schwer der Geist zu fassen ist, mögen zwei Zitate genügen. Es reicht, irgendein Buch aufzuschlagen, um mit dem Mysterium konfrontiert zu werden.

Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle

Das ist das, was Faust bedauert. Da stecken gleich zwei merkwürdige Aussagen drin. Die erste ist, dass Gefühle das Leben geben. Das ist eine Spitze gegen die künstliche Intelligenz und auch gegen den biologischen Begriff von Leben. Man kann Maschinen beibiegen, sich zu vermehren, also Roboter bauen Roboter, man kann ihnen auch beibiegen, beim Anblick eines hungernden Kindes zu weinen und über einen Witz zu lachen. Man kann ihnen auch beibiegen, dass sie den Kopf hängen lassen, weil sie Frage nach dem Sinn des Lebens nicht beantworten können, aber so richtig leiden bzw. sich freuen, werden sie sich nicht. Im Grunde ist ihnen alles egal. Man kann auch einfach den Stecker ziehen, das wird keine Todesangst bei denen auslösen. Was das Leben eigentlich ausmacht, sind Gefühle und der Erkenntnisprozess wird letztlich von Gefühlen angeschoben. Die wiederum, und das ist die zweite Aussage, erstarren in dem irdischen Gewühle. (Besonders schnell eben bei Zitierwissenschaftlern in der kanonischen Blase. Da ist der Geist das Instrument, mit dem die Verbeamtung erreicht werden kann.) Heute würde man sagen, die Gefühle erstarren im verdinglichten Bewusstsein, dem es bekanntlich egal ist, woran es sich begeistert. Richtet
sich der Mensch selber zu zum Instrument, dann geht die spontane Erfahrungsfähigkeit verloren. (Um das mal klar zu machen: Wer ordentlich Cash verdienen will, der sollte z.B. sein Liebesleben im Griff haben, sonst endet er, so er nicht Onassis heißt, wie Christian Buddenbrook in jenem Roman von Thomas Mann. Für Details siehe Th.W. Adorno, Mythos der Aufklärung.)

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