Auch das Geraune von der Hermeneutik hilft uns nicht weiter. Bei Gadamer der „das Verstehen zum Gegenstand unserer Besinnung machen“ will, wird die Problematik unzulässig verkürzt, wie wir noch sehen werden. Wenn Dichtung der Dämmerung entstammt, wie Hermann Broch zutreffend feststellt, dann ist nicht nur das Ergebnis interessant, also die Dichtung als konkret vorliegender Text, sondern auch wo sie entstand und in diese Dämmerung hinab zu leuchten ist schwieriger, als die Begutachtung des fertigen Produktes. Die Ästhetische Theorie von Th.W. Adorno beschäftigt sich damit, mit der Dämmerung, aber so doll wie Adorno werden wir es hier nicht treiben. Kann der Autor auch gar nicht. Er hofft aber, dass sich Erhellendes zu der Thematik auch mit einer Portion gesundem Menschenverstand sagen lässt.

Außerhalb der Blase werden die Fragen sehr radikal und fundamental. Würde es irgendjemand merken, wenn man den gesamten Bereich Zitierwissenschaften streichen würde? Wäre die Gesellschaft eine andere, wenn man in der Schule ausmisten würde und mehr Mittel für die Vermittlung von Kenntnissen einsetzen würde, die für die konkrete Lösung anstehender Probleme notwendig sind? Wäre dann das Leseverhalten ein anderes? Würden weniger Bücher gekauft? Hätte das einen Einfluss auf den Geist außerhalb der Blase? Fragen, auf die man durchaus empirisch belastbare Antworten geben könnte, aber so genau will das wohl niemand wissen.

Stößt der Geist auf die unmittelbare Realität, also auf eine Realität, wo der Kanon nichts bedeutet und niemand gezwungen werden kann, ihn sich einzuverleiben, wird er sehr pragmatisch. Das ist z.B. dann der Fall, wenn unschlüssige Schüler bzw. unschlüssige Studenten angelockt werden sollen. Dann geht es nicht mehr um die Darstellungen von Kulturräumen, das traut man sich eh nicht zu, sondern um den konkreten Nutzwert. Fremdsprachen lernt man, weil das wichtig ist für die Karriere, weil das entsprechende Land wirtschaftlich bedeutsam ist, weil es ein wichtiger Handelspartner ist etc.. Selbst bei Latein wird der Nutzwert betont. Das soll das logische Denken fördern, was prinzipiell wichtig sei.

Würde sich, wenn man den Geist an Schulen nicht mehr vermittelt, also keinen deutschen Geist an deutschen Schulen, also Goethe und Co, keinen französischen Geist an französischen Schulen, also Molière und Co, keinen spanischen Geist an spanischen Schulen, also Cervantes und Co, keinen italienischen Geist an italienischen Schulen, als Dante Alighieri und Co etc. irgendetwas ändern? Um messbare Qualitäten scheint es ja offensichtlich nicht zu gehen, der Geist ist da weitgehend beliebig, es soll nur ein nationaler Geist erzeugt werden. Ein weltweit gültiger Kanon würde sich anbieten, doch der Wechsel ist aus ökonomischen Gründen kaum zu erwarten. Zur globalisierten Welt würde eher ein globalisierter Geist passen. Spielten Qualitäten eine Rolle, dann müsste man einen bestimmten Geist in den Schulen vermitteln, zumindest wäre das sinnvoll.

Wobei der Geist auch nicht überall vermittelt werden soll. An den Realschulen z.B. nicht, also die sollen sich, das war zumindest die ursprüngliche Idee, vor allem mit Realem beschäftigen, also nicht mit dem Geist, mit Latein / Griechisch, Philosophie, Geschichte und was es sonst noch an schöngeistigen Dingen gibt. Marketingtechnisch ist das eher ungünstig, denn das schränkt den Kreis derjenigen, die vom Geist beglückt werden können, ein. Historisch intendiert war eine Klasse, die vom Geist geadelt zu Höherem bestimmt war. Der Schuss ging nach hinten los, der Geist ist in der Blase gelandet und wird von der Realität bedroht. In der Realität tobt das Leben und damit der Geist. Das humboldtsche Bildungsideal, also der umfassend gebildete Mensch, ist der Dünkel von Leuten, die keine Lust auf Realität haben.

Problematischer dürfte da schon die Kulturindustrie sein und da helfen uns auch die öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten nicht. Doe Kulturindustrie, von der sich der öffentlich / rechtliche Rundfunk immer weniger unterscheidet, hindern die Leute daran, sich mit dem zu beschäftigen, was eigentlich ihre Sache wäre, wie Adorno das so hübsch formuliert hat. Dem zu widerstehen, wäre eine schöne Aufgabe für Geisteswissenschaftler.

Schiller glaubt in der Wahn und das Leben, dass die Hohepriester des Wahren, Schönen und Guten selbiges suchen, da dürfte er falsch gelegen haben, die suchen eine Festanstellung als Beamte. Der Medienhype bzgl. der Frage, ob Lehrer verbeamtet sein sollen, ist weit größer, als die Frage nach den Inhalten. Gerichte beschäftigt die Frage nach der Entfristung von Verträgen im akademischen Mittelbau. Die Frage nach den Inhalten beschäftigt niemand. Im Ergebnis trifft er den Nagel allerdings auf den Kopf.

Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Konfrontiert man Lehrer aus dem Bereich der Geisteswissenschaften mit der Frage, ob es nicht besser wäre, in der Schule auf unmittelbar verwertbares Wissen zu fokusieren, die Schüler wären dann im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer besser auf Studium und Beruf vorbereitet, dann können sie auf diese Frage in der Regel nichts erwidern, sie setzen dann nicht mal, der Autor beschäftigt sich mit der Darstellung von Kulturräumen beruflich und diskutiert diese Frage immer mal wieder mit Lehrern, die Zitiermaschine in Gang. Es kommt einfach nichts. Lehrer sollten aber wissen, was sie tun und warum. Darüber haben sie aber in der Ausbildung nie reflektiert. Das tönend Wort, ist die hohle Phrase, Wörter, die nicht von Erfahrung geprägt sind. Der freie Geist will sein subjektives Erleben zum Ausdruck bringen, bzw. ist von diesem getrieben.

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