Die Gegenposition hierzu haben wir im Faust. Da haben wir nur noch frei drehende Wörter, die mit keiner konkreten Erfahrung mehr unterlegt sind.

Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

Der Dichter ist also, wenn man das Problem blumig umschreiben will, eine starke Persönlichkeit, die ihre eigene Logik der Logik der Gesellschaft entgegensetzt. Was diese Individualität formte, ist unklar. Denkbar wären eine größere Fähigkeit zu Empathie, die zu einer Parteinahme für bestimmte gesellschaftliche Gruppen führt, einschneidende Erlebnisse, besserer Einblick in Gesamtzusammenhänge, größere ästhetische Sensibilität, etc.. Allerdings erklärt auch das nichts, auch wenn wir diese Eigenschaften bei Autoren geistiger Werke oft finden. Hierüber verfügen Millionen von Menschen, ohne dass sie deswegen Dichter, Maler, Musiker, etc. werden. Systemisch betrachtet können geistige Artefakte nur entstehen, wenn die Gesellschaft über ähnliche Eigenschaften wie der Autor geistiger Artefakte verfügt, denn andernfalls würde er mangels Nachfrage, so er nicht einen Sponsor findet, untergehen.

Diese intuitive Herangehensweise dürfte im Alltag problematisch sein. Intuitiv kann man sich die Frage stellen, ob der literaturwissenschaftliche Hokuspokus sozialistischer Prägung, da ist irgendwie alles Ausdruck des gesellschaftlichen Hauptwiderspruches, sich vom literaturwissenschaftlichen Hokuspokus textlinguistischer Prägung, da referieren Texte nur noch Texte, unterscheidet oder ob wir es da nicht mit austauschbaren Gestalten zu tun haben, was die Betroffenen natürlich vehement verneinen würden. Wäre dem aber so, dann wird das mit der Orientierung und Wertvermittlung, einer Aufgabe, die den Geisteswissenschaften in staatstragenden Reden zugeschrieben wird, schwierig, da der Kompass keinen Norden kennen würde. Allerdings kann man dieses „Gefühl“, also der Eindruck, der entstanden ist, weil das Gemüt das Weitverstreute gesammelt hat, auch nicht beweisen. Intuition beschreibt auch Nietzsche und der Spruch hat es sogar auf T-Shirts gebracht. Wir haben also auch hier wieder den Zusammenhang, dass wir zwar nicht wissen, was es ist, aber da viele Leute das einleuchtend finden, ist da was.

Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben,
um einen tanzenden Stern gebären zu können.
Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch.

Das sagt Zarathustra bevor er anfängt, über den letzten Menschen zu wettern, dessen Bedürfnisse weitgehend befriedigt sind, der gemütlich vor sich hinlebt und keine Lust auf ein heroisches Dasein hat, was Nietzsche natürlich ganz schrecklich findet. Komischerweise finden sich gerade unter verbeamteten Geisteswissenschaftlern viele Anhänger dieses Irren, wie der Autor aus Erfahrung weiß. Die halten über den ausgedehnte Vorträge. Das Szenario kannte schon Goethe und hat es im Faust beschrieben.

Nichts Bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.

An heroischen Zeiten hat es ja nach Nietzsche nicht gerade gemangelt und Nietzsche hätte sein Problem einfach lösen können. Auf sein Ruhegehalt von der Basler Uni verzichten und bei den Stahlkochern im Ruhrgebiet am Hochofen anheuern für einen Hungerlohn. Da hätte er eine total heroische Existenz gehabt. Dass eine starke Persönlichkeit alle Werte in Frage stellt, das Chaos in sich trägt, ohne der Logik der Gesellschaft eine eigene Logik entgegensetzen zu können und diffus von einer Utopie phantasiert, einem tanzenden Stern, heißt also noch lange nicht, dass das zu vernünftigen Ergebnissen führt. Es braucht dann schon noch einen wachen Verstand, der die Dinge richtig einsortiert.

Ein weiteres Problem ist, dass der geistige Artefakt auch eine schlichte Projektionsfläche sein kann. Da der Kanon vorher fest im Bewusstsein einer Gesellschaft verankert wurde und ihm deshalb Autorität zukommt, kann er politisch missbraucht werden. Dann wir auf einmal der Weltbürger Goethe zum Vertreter des Deutschtums. Illustriert wird das Phänomen durch Baldur von Schirach in seiner Rede „Goethe an uns. Ewige Gedanken des großen Deutschen.“ Das ganze Blabla vom Beitrag der Geisteswissenschaften zur Orientierung und Wertevermittlung ist hanebüchener Blödsinn. In kritischen Phasen, das gilt überall auf der Welt aber insbesondere in Deutschland, trugen sie eher zur Desorientierung bei.

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