Dass die Volkswirtschaftslehre sich als Naturwissenschaft verkaufen will, extrem bei Léon Walras und Carl Menger, ist dem Erfolg der Naturwissenschaften geschuldet. Volkswirte sind der Meinung, sie erreichen einen ähnlichen Grad an Präzision, wenn sie sich nur den Methoden der Naturwissenschaften, also der mathematischen Modellierung, bedienen. (Obwohl die mathematische Modellierung eigentlich nur in der Physik üblich ist.) Sie vergessen dabei, dass das Erkenntnisobjekt ein ganz anderes ist. Die Tatsache, dass man eine Pizza mit Messer und Gabel isst, heißt noch lange nicht, dass das auch mit einer Tomatensuppe funktioniert. (Das Problem wird besonders deutlich bei Léon Walras. Der argumentiert nämlich mit einem Tauschmarkt, bei dem bereits produzierte Güter lediglich getauscht werden. Das ist was ganz anderes als ein Markt, wo Güter auch produziert werden, aber die Details interessieren uns im Moment gar nicht. Klar ist, dass in einem reinen Tauschmarkt die Komplexität drastisch reduziert ist, so drastisch, dass sie mit der real existierenden Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.)

Es fällt auf, dass vor allem die Fachrichtungen sich am intensivsten bemühen, ihre Wissenschaftlichkeit nachzuweisen, wo diese am wenigsten gegeben ist. In den Naturwissenschaften gibt es eine Diskussion um Wissenschaftlichkeit schlicht gar nicht, weil sich die Frage nach der Wissenschaftlichkeit schlicht nicht stellt. Steht die These im Raum, dass der 17ß-Estradiol und Östrogen Rezeptor bei der Regulierung des Ca2+ Kanals und der Mitochondrien eine Rolle spielt, weil er die Expression der mitochondrialen Gene erhöht, dann ist Wissenschaftlichkeit dann gegeben, wenn sich diese These z.B. im Mausmodell beweisen lässt. Wissenschaftlichkeit ist hier schlicht richtig oder falsch. Das Problem ist lediglich, dass die Thesen derart kompliziert sind, dass nur noch Spezialisten überhaupt verstehen, um was es überhaupt geht. Ein allgemeines Geblubbere über Wissenschaftlichkeit hilft da gar nix. Diskutieren kann man lediglich noch über Relevanz, wobei es bei der Grundlagenforschung eben schwierig ist zu sagen, was relevant ist. Fundamentale Einsichten, die ursprünglich unter Umständen gar nicht intendiert waren, können z.B. zu völlig neuen Therapien im klinischen Alltag führen.

Eifrig bemühen sich auch die Wirtschaftswissenschaften, ihre Wissenschaftlichkeit nachzuweisen. Nach dem Selbstverständnis des Faches korreliert hier das wissenschaftliche Niveau mit der mathematischen Modellierung. Je mehr mathematische Modellierung, desto wissenschaftlicher. Zum running gag wurde ein Paper, das in einem hoch aggregierten mathematischen Modell die Frage klärt, warum attraktive Frauen ohne Ausbildung als Prostituierte mehr Geld verdienen, als hochqualifizierte Frauen. Das liegt nicht etwa daran, wie man vermuten könnte, dass nach diesen Frauen eine hohe Nachfrage besteht, das Angebot aber knapp ist, sondern daran, das ist der Schluss, der aus dem mathematischen Modell gezogen wird, dass Frauen, die als Prostituierte arbeiten, schlechtere Chancen auf dem Heiratsmarkt haben und hierfür finanziell entschädigt werden müssen. Die These ist natürlich vollkommen gaga, weil der finanzielle Ausgleich nur möglich ist, weil eine Nachfrage besteht und unklar bleibt, ob überhaupt jede Frau heiraten will, aber das ist nicht der Grund, warum die These ein running gag wurde. Zum running gag wurde die These durch die mathematische Modellierung mit beeindruckenden 14 Variablen und weil der Schwachsinn in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Allein der mathematische Blödsinn Drumherum qualifizierte das Paper als hochwissenschaftlich. Methodisch ist es so, dass eine mathematische Gleichung, Funktion oder was auch immer keine kausalen Beziehungen beweist, sondern diese lediglich beschreibt. Die simple Gleichung Sparen = Investieren ist tatsächlich richtig, die Frage ist nur ob zuerst gespart und dann investiert wird, wie die Klassik behauptet, oder zuerst investiert wird und dann gespart, wie Keynes zutreffend behauptet. Aber immerhin wird in der Volkswirtschaftslehre noch der Versuch gemacht, den Begriff wissenschaftlich irgendwie zu definieren. Anders sieht es aus bei den Geisteswissenschaften. Da wird die Wissenschaftlichkeit einfach vorausgesetzt. Das folgende Zitat ist einem Lehrstuhl der Romanistik entnommen und ist derartiger Schwachsinn, dass man schon ins Grübeln kommen kann. Die Nummern hat der Autor eingefügt. Das ganze Zitat ist ein sinnfreies Geschwafel. Das ist wohl die totale Fehlbesetzung Professor geworden, wobei wir bei den Geisteswissenschaften sehr viele Fehlbesetzungen haben. Man findet mühelos Tausende ähnlicher Statements. Die meisten Geisteswissenschaftler verstehen die Grundproblematik gar nicht, mit der ihr Fach konfrontiert ist.

(1) Eine Hausarbeit dient der vertieften literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Texten (oder Filmen bzw. sonstigenUntersuchungsgegenständen) (2) im Fokus einer genau eingegrenzten Fragestellung. (3) Sie baut meist auf Diskussionen oder Thesenpapieren auf, die bereits im begleitenden Seminar geführt wurden – für Hausarbeiten werden dabei literatur-, medien- bzw. kulturtheoretische Fragestellungen des Seminars aufgenommen und (4) an den dort zu Grunde liegenden Primärtexten behandelt oder auf andere, im Hinblick auf die Fragestellung relevante Texte übertragen. (5) Generell gilt es in, eine in Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Sekundärliteratur erarbeitete eigenständige These zu entwickeln und diese an konkreten Analysen zu überprüfen. (6) Wissenschaftliche Hausarbeiten erfordern eine Mischung aus Vorwissen, Thesenbildung und Methode: (7) Das Vorwissen hinsichtlich möglicher Fragestellungen und Themengebiete für Hausarbeiten liefert vor allem das Seminar, zu dem die Arbeit geschrieben wird. Hinzukommen können eigene Recherchen. (8) Die Thesenbildung besteht darin, einen nicht auf den ersten Blick offensichtlichen Zugang zu den analysierten Texten zu finden. Ein solcher Zugang setzt voraus, dass man mittels geeigneter theoretischer Fragestellungen aus der Perspektive eines Rezipienten heraustritt, der sich von einem Text oder Film ‚nur‘ ansprechen/unterhalten/belehren lassen will etc. Stattdessen geht es darum, nach den Verfahren zu fragen, mit denen ein Text/Film dies erreicht. (9)Die Methode besteht schließlich darin, die formulierte These einem literaturwissenschaftlich geschulten Leser durch verifizierbare konkrete Analysen nachvollziehbar zu machen.

6 Wissenschaftliche Hausarbeiten erfordern eine Mischung aus Vorwissen, Thesenbildung und Methode:
7 Das Vorwissen hinsichtlich möglicher Fragestellungen und Themengebiete für Hausarbeiten liefert vor allem das Seminar, zu dem die Arbeit geschrieben wird. Hinzukommen können eigene Recherchen.
8 Die Thesenbildung besteht darin, einen nicht auf den ersten Blick offensichtlichen Zugang zu den analysierten Texten zu finden. Ein solcher Zugang setzt voraus, dass man mittels geeigneter theoretischer Fragestellungen aus der  Perspektive  eines  Rezipienten  heraustritt, der sich von einem Text oder Film  ‚nur‘ ansprechen/unterhalten/belehren lassen will etc. Stattdessen geht es darum, nach den Verfahren zu fragen, mit denen ein Text/Film dies erreicht.
9 Die Methode besteht schließlich darin, die formulierte These einem literaturwissenschaftlich geschulten Leser durch verifizierbare konkrete Analysen nachvollziehbar zu machen.

In (1) wird der Begriff literaturwissenschaftlich einfach gesetzt, ohne dass er erläutert wird, wobei der Autor ihn auch nicht erläutern könnte. Dass es in der akademischen Beschäftigung mit Literatur irgendwelche wissenschaftlichen Herangehensweisen gibt, ist dem Autor nicht aufgefallen. In der Hausarbeit soll man sich dann mit dem Thema des Seminars auseinandersetzen. Das nimmt der Autor jetzt auch an, das machen ja schon die Schüler in der Schule. Die Grenze zum Erörterungsaufsatz ist dann die Wissenschaftlichkeit, von der aber kein Mensch weiß, was das sein soll. Auch (2) ist den unglücklichen Teilnehmern des Seminars bereits aus der Schule bekannt, das ist irgend so ein Blödsinn wie „Welche Handlungsalternativen hatte Gretchen in Goethes Faust?“. In (3) wird festgestellt, dass in dem Seminar irgendwas behandelt wird, was zum Thema gehört. Auch das ist bereits aus der Schule bekannt und das Problem ist das gleiche wie an der Penne. Die Frage ist, ob das, was behandelt ist, anschlussfähig und relevant oder beliebig und damit irrelevant ist. Das kulturtheoretisch macht zwar einen intelligenten Eindruck, ist aber nonsense, weil es konkret nichts bedeutet. Gehört eine relevante Frage nicht zu den kulturtheoretischen Fragestellungen, dann stimmt was mit den kulturtheoretischen Fragestellungen nicht und wenn bei den kulturtheoretischen Fragestellungen viele irrelevante Fragen sind, dann stimmt ebenfalls etwas nicht. Bei (4) lernen wir, dass wir uns mit Primärtexten befassen, das ist nun ein Unterschied zur Penne. In der Schule neigen Schüler dazu, sich eine Zusammenfassung zu besorgen und den irrelevanten Mist nicht zu lesen. Das passiert vor allem dann, wenn sie mit sinnfreiem Gebrabbel zugedröhnt werden. (5) ist spannender. In der Praxis bedeutet das, dass man jeden Blödsinn erzählen kann, wenn man nur eine Zitat aus der Sekundärliteratur fischt, das denselben Blödsinn  behauptet. In (6) lernen wir, dass man von dem Thema, über das man schreibt, Ahnung haben sollte, das wiederum war schon in der Schule so, die Frage ist nur, was Ahnung in diesem Kontext konkret bedeutet, siehe II. Was Ahnung haben konkret bedeutet, erfahren wir in (7). Das nötige Wissen erlangt man im Seminar, selber recherchieren darf man aber auch noch. In (8) macht er dann, was ihm wahrscheinlich gar nicht bewusst ist, eine klare Ansage. Es gibt einen spontanen Zugang zu dem geistigen Artefakt, bei dem der Empfänger aber lediglich angesprochen, unterhalten und belehrt wird. Das nur steht zwar in Anführungsstrichen, aber dieser spontane Zugang hat natürlich nicht die hohen Weihen der wissenschaftlichen Analyse. Ihm ist offensichtlich gar nicht klar, dass in den drei Wörtern ansprechen, unterhalten, belehren das ganze Mysterium steckt, wobei der Begriff belehren zeigt, dass er eigentlich keinen Zugang zur Dichtung hat. Ansprechend kann die Tischdekoration sein oder etwas in der Art. Niemand würde bei geistigen Artefakten, auch wenn sie spontan begeistern, mitreißen, berühren von ansprechen reden. Niemand würde sagen „die Queens“ sprechen mich an“, „die neunte Symphonie von Beethoven spricht mich an“, „die Dämonen von Dostojewky sprechen mich an“. Der Begriff unterhalten verweist auf eine geringe emotionale Involviertheit. Unterhaltsam sind auch Spiele. Sowohl ansprechend wie auch unterhaltsam verweisen auf die Belanglosigkeit und Beliebigkeit. Das unten stehende Gedicht von Nietzsche ist weder ansprechend noch unterhaltsam noch belehrend. Und zwar für niemanden. Es kann dem Leser höchstens gleichgültig sein. Dazwischen allerdings gibt es nichts.

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