Die Welt ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer Das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Dieses Gedicht von Nietzsche ist weder ansprechend noch unterhaltsam. Hier stellt jemand radikal alles in Frage. Jede Gewissheit, die spontan mit anderen Menschen verbindet, intellektuell und emotional ist verloren und ein neuer Grund, der auf einer höheren Ebene Gewissheit garantiert, ist nicht gefunden. Wenn jemand das Gedicht ansprechend oder unterhaltsam findet, dann hat er irgendwas nicht verstanden. Ansprechend und unterhaltsam ist eine gemütliche Angelegenheit, aber hier äußerst sich jemand, dem Gemütlichkeit nichts mehr bedeutet. Belehrend ist ein geistiges Artefakt nie. Belehren stellt auf die Vermittlung von objektiven Sachzusammenhängen ab, ohne dass das betrachtende Subjekt emotional involviert ist. Der Film Z von Costa Gavras beschreibt zwar die Situation in Griechenland vor dem Militärputsch 1967, aber die hätte man auch einem reinen Sachtext entnehmen können. Das geistige Artefakt belehrt nicht, sondern berichtet aus einer Perspektive in einer Art, dass der Empfänger diese Perspektive übernimmt.
Zentral für Geisteswissenschaftler ist ein Gespür für Wörter, das heißt die Wörter müssen mit Erfahrung geladen sein. Wer darüber nicht verfügt, der ist als Professor eine Fehlbesetzung. Genauso kritisch ist die Aussage, dass nach dem Verfahren zu fragen sei, mit denen der Text / Film dies erreicht. Hier wäre erst mal zu klären, was er denn überhaupt erreicht. Solange unklar ist, was ansprechend bzw. unterhaltsam bzw. belehrend ist, kann man darüber gar nicht reden. Geht es um belehren, wird das am besten durch eine didaktische geschickte Darstellung erreicht. Mit PowerPoint und viel Adobe Photoshop wird es vielleicht ansprechender, ob es damit auch didaktisch geschickt ist, ist eine andere Frage. In diesem Fall bestünde das Verfahren darin, den Umgang mit Adobe Photoshop zu lehren oder den Umgang mit Adobe Audition, wenn es vertont werden soll, oder einen Kurs zu machen in Videoschnitt. Soll es auf einem Smartphone landen, würden sich noch App-Programmierung anbieten.
Unterhaltend sind z.B. Krimiserien. Hier gibt es bewährte Verfahren. Man muss möglichst viele Autos spektakulär zu Schrott fahren oder Schiffe aufwendig versenken. Man kann natürlich auch Häuser sprengen und ähnliches. Neben dem Hauptstrang der Handlung, kann man noch alle möglichen Nebenstränge einflechten, also z.B. der ermittelnde Kommissar, der alle möglichen privaten Probleme hat, von der Ehekrise bis zu Alkoholproblem. Mit dem Begriff ansprechend im Zusammenhang mit geistigen Artefakten kann der Autor jetzt gar nichts anfangen und noch viel weniger kann er sich vorstellen, dass es ein Verfahren gibt, das garantiert, dass der Empfänger begeistert, berührt, erschüttert etc. wird. Der Begriff Verfahren verweist auf eine industrielle / handwerkliche Produktion. So Verfahren gibt es, wenn Unterhaltung intendiert ist. Die Beherrschung des Handwerks mag die Voraussetzung sein, fehlt aber der Überschuss, dann ist es Kitsch. Zwischen dem David des Michelangelo im Original und den zahlreichen Nachbildungen besteht handwerklich gesehen nicht mal so ein großer Unterschied, aber das Original ist großes Kino, die Nachbildungen Kitsch. Umgekehrt ist handwerkliches Können nicht notwendigerweise Voraussetzung für die Wirkung und meistens ist das erklärungsbedürftige Kunstwerk, das nicht von alleine spricht, bedeutungslos. Wenn man das Verfahren erklären muss, dann hat es sein Ziel nicht erreicht, dann war wohl von vorneherein nur Unterhaltung und Belehrung intendiert.
Bei (9) haben wir wieder die Worthülse literaturwissenschaftlich, die konkret nichts bedeutet. Verifizierbar ist gleich doppelt falsch. Der Mann hat von Wissenschaftstheorie nicht die allerblasseste Ahnung. Erstmal geht in der Wissenschaft niemand davon aus, dass eine These verifiziert werden kann. Die Tatsache, dass ein Ereignis bestätigt wurden, heißt noch lange nicht, dass sie wahr ist. Die Aussage, dass alle Schwäne weiß sind, kann millionenfach verifiziert werden, falsch ist sie aber trotzdem, denn es gibt auch schwarze Schwäne, um mal das Beispiel von Karl Popper anzuführen. Aus einer endlichen Anzahl von Ereignissen, kann nicht auf eine unendliche Anzahl von Ereignissen geschlossen werden. Zweitens verlangt der Begriff verifiziert, dass die These so formuliert ist, dass sie empirisch belastbar überprüft werden kann. Die Aussage, dass alle Körper im luftleeren Raum gleich schnell fallen, ist empirisch belastbar formuliert. Man macht das entweder wie Galileo und lässt Körper unterschiedlichen Gewichts auf einer geeigneten Fläche abwärts rollen, dann spielt der Luftwiderstand nur eine geringe Rolle oder man lässt Körper im Weltraum fallen, da gibt es keine Atmosphäre. Ein Gedicht allerdings ist nicht empirisch belastbar formuliert.
Ich stand in dunkeln Träumen
Und starrte ihr Bildnis an,
Und das geliebte Antlitz
Heimlich zu leben begann.
Um ihre Lippen zog sich
Ein Lächeln wunderbar,
Und wie von Wehmutstränen
Erglänzte ihr Augenpaar.
Auch meine Tränen flossen
Mir von den Wangen herab –
Und ach, ich kann es nicht glauben,
Daß ich dich verloren hab!