Das Credo Kandinskys, „Ein Werk schaffen, heißt eine Welt schaffen“, trifft nur auf einen Teil der abstrakten Malerei zu, wie man in der Neuen Nationalgalerie in Berlin begutachten kann. Die Mischung aus Unterhaltung und geistigem Gehalt, macht es überhaupt erst möglich, durch geistige Artefakte zur Gesellschaft Stellung zu nehmen. Anstatt Ansichten eines Clowns hätte Heinrich Böll auch eine soziologische Studie der Gesellschaft in der Adenauer Ära schreiben können, die hätte aber keine solche Welle gemacht. Viele Romane gerieten erst dann in den Fokus öffentlichen Interesses, als sie verfilmt und damit unterhaltsamer präsentiert wurden. Über den Film eine Liebe von Swann von Volker Schlöndorff kann man sich streiten, aber er hat es fertiggebracht, dass über Marcel Proust, auf dessen Roman À la recherche du temps perdu der Film beruht, zumindest mal geredet wird, auch wenn in diesem Fall der Roman mit dem Film nichts mehr zu tun hatte. Der Film Doktor Schiwago enthält wesentliche Elemente des Romans von Boris Pasternak und hat eine gewaltige Welle um den Globus geschickt. Die meisten Leuten kennen Dostojewksy aufgrund des Films die Brüder Karamasow.
Es geht bei den Geisteswissenschaften um Vermittlung. Können sie nichts vermitteln, braucht man sie nicht. Sie täten also gut daran sich mal anzuschauen, wie Profis geistige Artefakte vermitteln. Das ist ein weites Feld. Es geht dann auch um Fragen, wie man geistige Artefakte multimedial darstellen kann. Das ist alles andere als ein trivialer Vorgang, weil man teilweise sehr komplexe Teams zusammenstellen muss. Programmierer, Designer, Musiker, Drehbuchautoren etc.. Das gelingt eben Profis. Universitäten allerdings schaffen es nicht mal, mehrere Fachbereiche zusammen zu bringen. An einem solchen Projekt könnten die Studenten und die Lehrstuhlinhaber mal üben, wie man so was macht. Das ist die Qualifikation, die die Absolventen für das Berufsleben brauchen, auch Lehrer, wenn sie nicht völlig unvorbereitet vor einer Klasse stehen wollen. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass täglich Millionen an Seiten ins Internet hoch gespult werden, wo alle Themen dieser Welt, von der Welt als Wille und Vorstellung über den Expressionismus bis zum canto nuevo auf allen Niveaustufen und für alle Zielgruppen abgehandelt werden. Produzieren die Geisteswissenschaften nur noch Staubfänger, bzw. Produkte, die organisatorisch nur einem kleinen Kreis zugänglich sind, werden sie eben zunehmend irrelevant. Die Produktion von Seminararbeiten für den Papierkorb mit viel pseudowissenschaftlichem Geschwätz ist keine Berufsvorbereitung. Die Tatsache allein, dass sich alle Beteiligten damit abquälen, heißt noch lange nicht, dass gearbeitet wird, denn Arbeit stiftet einen Mehrwert, andernfalls ist sie Schwachsinn.
Geisteswissenschaftler müssen lernen, die Sache rückwärts zu denken. Das muss nicht heißen, insofern kann man Adorno zustimmen, dass man das liefert, was die Leute haben wollen, denn wenn man das liefert, was sie haben wollen, betrügt man sie um das Neue, das im geistigen Artefakt steckt. Die Nachfrage nach Salami Wurst kann man befriedigen, in dem die Leute genau das bekommen, was sie erwarten. Ab und zu kann man was Neues liefern und die Leute probieren ab und an was aus, aber im Wesentlichen fragen sie das nach, was sie kennen. Beim geistigen Artefakt ist das Neue Bedingung. Wer ins Kino geht, will einen Film sehen, denn er noch nicht kennt. Die reine Unterhaltung bringt zwar auch nichts neues, es werden lediglich Autos immer aufwendiger zu Schrott gefahren, Schiffe werden mit immer mehr Brimborium auf den Grund des Meeres geschickt, es gibt immer mehr Leichen und immer mehr liaisons dangereuses, aber es kommt nichts Neues in die Welt. Bei der Unterhaltungsindustrie fehlt also das, was bei Adorno das geistige Artefakt ausmacht. Man muss sich aber Gedanken darüber machen, wie das Neue spontan erfasst werden kann. Die Unterhaltung kann Hinweise geben, wohin die Reise gehen könnte. Die Geisteswissenschaften müssen also die geistigen Artefakte von der Gesellschaft her denken.
Den Geist zu vermitteln ist schwieriger, als Informatik. Der Autor kennt, als Dozent, beides. Beim Geist handelt es sich nicht um logische Beziehungen, deren Wahrheit unmittelbar jedem einsichtig ist. Wenn der Computer nicht das macht, was man sich vorstellt, bzw. das macht, was man sich vorstellt, aber das nicht das ist, was man eigentlich haben will, dann sieht jeder sofort ein, dass da der Wurm drin ist. Da es bei der Informatik auch ein klares Ziel gibt, dass sich in der Regel in Euros messen lässt, braucht es auch keine gamification. Dass man sich für Euros anstrengen muss, verstehen alle. Erst wenn der Nutzwert in Frage gestellt wird, soll schon das Ziel spielerisch erreicht werden. Bei der Informatik fordert niemand gamification, bei der Fremdsprachendidaktik ist das jetzt das Nonplusultra, zumindest bei den Akteuren, die direkt am Markt agieren, vor allem den Anbietern von online Programmen. Der monetäre Nutzwert, der mit dem Erlernen der italienischen Sprache erzielt werden kann, ist gering. Eventuell nimmt man Italienisch aber mit, wenn es sich gut macht auf der Party und wenn es mühelos erworben werden kann. Der Geist allerdings trifft auf unterschiedliche Vorerfahrungen, unterschiedliche gesellschaftliche Konstellationen, unterschiedlich Lebenslagen, und hieraus ergibt sich dann, ob etwas bedeutsam oder bedeutungslos ist.