Andererseits scheint das Problem, das die Hermeneutik von Dilthey, über Heidegger zu Gadamer lösen will, also dass das Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt des Senders und das Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt des Empfängers nicht deckungsgleich und damit die Vermittlung schwierig ist, in weiten Bereichen gar nicht zu existieren. Wie uns die Geschichte lehrt, also manchmal lehrt sie ja doch was, werden immer mal wieder Bücher verbrannt, zensiert und Dichter ins Gefängnis gesteckt. Also zumindest bei den jeweils Herrschenden, die in der Regel ja keine großen Leuchten sind, wird die Botschaft unmittelbar verstanden. Die gehen sogar davon aus, dass sie so einfach und problemlos verstanden wird, dass man die Verbreitung unterbinden muss. In diesem Fall aber haben wir es mit Artefakten zu tun, die nicht kanonisiert sind.
Soll der Geist eine Welle machen, dann muss er spontan einschlagen, wobei zwar jeder versteht, was das heißt, und die Tatsache an sich offensichtlich ist, aber dies sich wiederum jeder näheren Bestimmung entzieht. Wir wissen, dass da was ist, das ist unstrittig, wir wissen nur nicht, was das ist. Manche Dinge BEGEISTERN die Leute, da waltet also auch irgendein Geist, irgendwas, was die Leute ergreift und mitreißt, aber wir wissen nicht, warum sie das begeistert oder warum sie überhaupt begeistert werden wollen. Liest man sich Kommentare zu sehr bekannten Songs bei youtube durch, etwa Wish you were here, Hello darkness my old friend, Solo le pido a Dios, Göttingen etc.. dann zeigen die Kommentare, dass die Leute betroffen oder begeistert sind. Was das ist, wissen wir zwar nicht, aber wir können feststellen, dass das was ist. Teilweise beschäftigen sie sich auch mit den Texten, die manchmal durchaus einem Spannungsfeld zwischen einem Subjekt und einem Objekt Ausdruck verleihen.
And the people bowed and prayed
To the neon god they made
Das Verdikt Adornos, dass es sich hierbei durchgehend um Verschnulzung handelt, sticht sowenig, wie der Vorwurf, dass diese Musik einen realen Konflikt zum Thema des Amüsements macht, denn für viele dieser Lieder, die eine Welle um den Globus jagen, haben die Autoren mit dem Tod bezahlt, bzw. schwebten in Lebensgefahr, z.B. Victor Jarra oder Anne Marly. Richtig ist nur, dass die Kulturindustrie zentral gesteuert wird, also nur ein Bruchteil tatsächlich öffentlich zugänglich ist und die Nutzungsrechte eines Großteils des Repertoires von der Musikindustrie, BMG, Warner Brothers, etc. im zehntausender Pack aufgekauft werden und somit der weiteren Verwertung entzogen sind.
Beim Wort begeistern, also da ist auch ein Geist am Werk, geht es nicht darum, dass man etwas versteht. Man kann auch verstehen, wie die Toilettenspülung funktioniert, aber in der Regel ist man von der Toilettenspülung nicht begeistert. Es ist allerhöchstens ärgerlich, wenn sie nicht funktioniert. Selbst wenn man die geistigen Artefakte, mit denen sich die Geisteswissenschaften beschäftigen, Romane, Gedichte, Werke der bildenden Kunst, Musik etc. verstehen würde, wäre das irrelevant, wenn sie nicht begeistern, man zu ihnen also ein Verhältnis hätte, wie zur Toilettenspülung. Das gleich gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Da soll man ja auch lernen, woher wir kommen, wer wir sind etc.. Weiter soll man dann die Fehler der Vergangenheit nicht nochmal machen. Da haben wir aber das gleiche Problem. Wenn es keinen Spaß macht, das Richtige zu tun, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer wieder das Falsche getan wird. Derzeit erfreut sich z.B. der Nationalismus und Sozialismus wieder steigender Beliebtheit, obwohl wir eigentlich wissen, dass beides in eine Sackgasse führt. Die Alternativen scheinen aber aus unterschiedlichen Gründen nicht zu begeistern. Verstehen ist selten das Problem, das wissen wir, bekanntlich ist der Geist willig, doch das Fleisch schwach. Begeistern ist auf jeden Fall positiv, die Steigerung von sich freuen, was eigentlich merkwürdig ist. Der Geist könnte ja auch negativ walten und schalten, dann ist man aber erschüttert, wobei auch das komisch ist, denn eine nachhaltige positive Erfahrung, kann einen auch erschüttern. Manche Leute weinen ja vor Glück.
Der Autor glaubt nicht daran, dass sich über Worte der Inhalt erschließen lässt. Worte sind eher so der Anfang einer langen Assoziationskette. Die wird mit steigender Lebenserfahrung immer länger, wenn eine Erfahrungsfähigkeit vorhanden ist, wovon nicht immer ausgegangen werden kann. Begeistern ist im Spanischen encantar, was aber auch verzaubern heißen kann. Wer also begeistert ist, der ist auch ein bisschen von der Rolle, tritt neben sich, was vielleicht eine prägende Erfahrung ist, zumindest wenn sie ohne zur Hilfenahme chemischer Substanzen erfolgt ist.
Die Kontemplationswissenschaften gehen davon aus, dass man geistige Artefakte verstehen muss, der Zugang also durch rationale Überlegungen gelingen muss, die sich dann in Erörterungsaufsätzen, Seminararbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Doktorarbeiten niederschlagen, wobei der Umfang an Seiten von Stufe zu Stufe zunimmt und die Literaturliste länger wird. Dadurch wird die Sache vielleicht wissenschaftlicher, aber selten relevanter. Die Frage ist letztlich, was Geisteswissenschaften zur Vermittlung beitragen können. Die Relevanz eines geistigen Artefaktes muss also vermittelt werden. Das scheitert aber bei den meisten Geisteswissenschaftlern schon daran, dass alles relevant ist, was wiederum bedeutet, dass nichts relevant ist. Die Beliebigkeit ist irrelevant. Relevanz entsteht, wenn ein Spannungsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt besteht, das setzt aber ein Bewusstsein voraus, das sich mit dem Objekt auseinandersetzt, weil es tastend etwas sucht, was dort nicht vorhanden ist.