Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
Das ist empirisch belastbar richtig. Die Zeit ist ein Filter. Irrelevantes wird im Zeitablauf rausgefiltert, egal wie medial es gehyped wird und egal wer den Nobelpreis für Literatur oder sonstige Preise enthält, von denen es im Übrigen inzwischen so viele gibt, dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen werden. Autoren, die heute zumindest dem Namen nach alle kennen, James Joyce, Marcel Proust, Erich Maria Remarque, Ernst Bloch, Th.W. Adorno etc. haben ihn nicht bekommen, trafen aber den Nerv der Zeit. Was man mit Luigi Pirandello, dem Nobelpreisträger, anfangen soll ist unklar. Die Vermarktungschancen seiner Werke wurden von den Verlagen offensichtlich als so gering eingeschätzt, dass nicht mal alle bekannten Romane übersetzt wurden, da hat auch ein Nobelpreis nicht geholfen. (Und der Autor hat Il fu Mattia Pascal auch nur übersetzt, weil er auf die Schnelle keinen relevanteren Roman gefunden hat, wo das Copyright schon abgelaufen war.) Extreme Beispiele, wie etwas Goethes Faust, diffundieren sogar in die Umgangssprache. Das kann nur gelingen, wenn typische Situationen kurz und prägnant zusammengefasst werden.
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie
und grün des Lebens goldner Baum.
Diese Tatsache wäre im Übrigen ein weiterer Punkt, der in der Literaturdidaktik ausgenützt werden könnte. Wenn Wesentliches spontan erfasst wird und sogar in die Alltagssprache eindringt, dann können wir vermuten, dass einer authentischen Erfahrung Ausdruck verliehen wird.
Das oben genannten Zitat, der Darstellung eines Lehrstuhles der Romanistik im Internet entnommen, ist keine individuelle Fehlleistung. Es ist nach der mannigfachen in unterschiedlichen Situationen gemachten Erfahrung des Autors die Norm.
Es gibt drei Elemente, wo die Geisteswissenschaften Fächern wie Volkswirtschaft ähneln. Diese Elemente hängen zusammen.
1) Das erste Problem ist, dass wir keine objektive Kontrolle durch einen Markt haben. Marktwirtschaftliche Ordnungen haben den entscheidenden Vorteil, dass es auf die moralische Integrität und das Verantwortungsbewusstsein der Akteure nicht ankommt. Die Produktion ist zwangläufig an einer Nachfrage ausgerichtet. Es muss zu einer marktfähigen Qualität und zu einem marktfähigen Preis geliefert werden, andernfalls verschwindet das Unternehmen vom Markt. Es bedarf keines Dritten, der die Prozesse als Außenstehender kontrolliert, das System kontrolliert sich selber. Bei den Geisteswissenschaften und allgemein im öffentlichen Dienst haben wir das Problem, dass derjenige, der bezahlt, nämlich der Steuerzahler, das Produkt gar nicht nachfragen muss, um qua Steuerbescheid die Rechnung zu bezahlen. Er weiß nicht mal genau, wie hoch die Rechnung dafür ist. Wenn irgendein Minister oder Staatssekretär allgemein für das Schöne, Wahre und Güte glüht, warum auch immer, dann wird das Angebot produziert und der Nachfrager ist der Papierkorb.
2) Beide gehen davon aus, dass sie mit der Öffentlichkeit erst dann kommunizieren müssen, wenn diese damit droht, den Geldhahn abzudrehen. Beide sind der Meinung, dass sie sich vor allem mit ihren Kollegen in der Blase unterhalten müssen, denn von diese hängt die akademische Karriere ab. Sie müssen also vor allem Papers publizieren in irgendwelchen Fachzeitschriften mit hohen impact points. In den Geisteswissenschaften haben die dann immer so bombastische Namen wie Erträge der Forschung, Romanistisches Jahrbuch, Festschrift für Herrn XY etc.. Das Problem ist, dass jeder Praktikant der bei der FAZ einen Artikel zu irgendwas schreibt mehr Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung hat, als die ganzen Erträge der Forschung, die nicht mal gedruckt würden, wenn der Steuerzahler das nicht unfreiwillig sponsert. Hinzukommt, dass eine Veröffentlichung im Internet und freier Zugang günstiger wäre. Hat das Internet auch in diesem Bereich mehr und relevanteren Inhalt, haben sich die Geisteswissenschaften endgültig erledigt. Das Internet wäre auch eine effiziente Möglichkeit, mit der breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren.
3) Beide hadern mit dem Begriff Wissenschaftlichkeit. Die Volkswirtschaftslehre ist der Meinung, dass diese Wissenschaftlichkeit automatisch gegeben ist, wenn man in jeden Artikel ein Gleichungssystem oder eine Funktion einbaut. Wenn das bei der Physik präzise Ergebnisse liefert, dann muss das auch in der Volkswirtschaftslehre funktionieren. Die Art des Erkenntnisobjektes ist völlig egal. Volkswirte würde auch ins Jurastudium Gleichungen und Funktionen einbauen und letztere dann ableiten und Wendepunkte, Maxima oder was auch immer berechnen. Es ist also nicht das Erkenntnisobjekt, das die Methode bedingt, sondern die Methode das Erkenntnisobjekt. Passt das Erkenntnisobjekt nicht zur Methode, dann wird das halt passend gemacht bzw. was sich nicht mathematisch formulieren lässt, wird schlicht nicht untersucht, egal wie relevant das ist. Antoine- Augustin Cournot, von dem stammt der berühmte Cournotsche Punkt, sagt das ganz explizit. Was sich nicht mathematisch modellieren lässt, interessiert ihn schlicht nicht. Dass der wichtigste Vertreter dieser Richtung, Alfred Marshall, genau hiervor warnte, ist genauso egal, wie die Tatsache, dass Keynes, immerhin der bedeutendste Ökonom aller Zeiten, das schlicht für Schwachsinn hielt. Ein explizites Wissenschaftsverständnis haben die Geisteswissenschaften gar nicht. Dilthey und Co spielt keine Rolle. Sie versichern sich lediglich ständig gegenseitig, dass sie total wissenschaftlich unterwegs sind, so dass sie schlussendlich alle dran glauben. Gemeinsam ist ihnen, was bei den Geisteswissenschaften ein totaler Irrtum ist, dass sie der Meinung sind, dass vom betrachtenden Subjekt völlig abstrahiert werden kann und es einen systematischen Weg zur Wahrheit gibt, wobei Wahrheit in den Geisteswissenschaften eigentlich schlicht Authentizität bedeutet. Die völlige Abstraktion vom Subjekt haben wir in der Volkswirtschaftslehre zum Beispiel bei Carlos Murks. Dort haben wir nur drei Produktionsfaktoren, Arbeit, Kapital und Boden. Der Proletarier und der Kapitalist sind aber keine handelnden Akteure, sondern lediglich in der Geschichte wirkende Kräfte. Der Kapitalist ist kein Unternehmer. Er ist lediglich dadurch charakterisiert, dass er Kapital hat. In den Geisteswissenschaften spielt das Subjekt ebenfalls keine Rolle. Egal wer das betrachtende Subjekt ist, das Ergebnis soll immer das gleiche sein. Daraus folgt dann sachlogisch, dass es auch keine relevanten und irrelevanten Inhalte gibt. Ist das Subjekt egal, dann ist ein Artefakt aus dem Mittelalter so relevant wie ein Artefakt aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Lope de Vega, Marivaux, Dostojewsky, Schiller oder Sartre, alles gleich relevant, denn das Subjekt, das allein die Relevanz bewerten könnte, gibt es gar nicht. Egal ob Luís Vaz de Camões oder Aluisio Azevedo durch die Methode gelangt der literaturwissenschaftlich geschulte Leser zu einer verifizierbaren konkreten Analyse. Fazit: Da fehlen wirklich Grundlagen. Da fehlt sprachliche Sensibilität, Erfahrungstiefe und überhaupt Erfahrungsfähigkeit, analytisches Denken. Wir sind da auf Pennäler Niveau. Lässt man das ganze Geschwafel weg, bleibt übrig, dass Wahrheit sich aus der Länge der Literaturliste ergibt. Die Grundproblematik ist zwar immer dieselbe, aber im Einzelfall könnte man unterscheiden. In manchen Sparten, etwa der Linguistik, tritt einem das Erkenntnisobjekt tatsächlich als Objekt entgegen. Es ist zwar ein Fehler der Linguistik, vom Gehirn, das die sprachliche Äußerung hervorbringt, vollkommen zu abstrahieren, wie dies in der Linguistik geschieht, so dass wir die interessanteren Ergebnisse in Zukunft von den Hirnforschern erhalten werden, das Gehirn hat seine eigenen Vorstellungen, wie es die Welt verbalisieren will, was sich dann in Regeln niederschlägt, die wir dann Grammatik nennen, aber vom Subjekt können wir abstrahieren. Sprachliche Strukturen sind so regelhaft, dass auch ein Algorithmus sie „verstehen“ kann, was z.B. dann der Fall ist, wenn ein Computer von einer Sprache in die andere übersetzt, was immer besser gelingt. Für solche sehr konkreten Fragestellungen fühlen sich allerdings eher Informatiker zuständig. Geschichte ist so eine Art Zwiebelwissenschaft, orientiert sich aber meist an Fakten, die konkret nachweisbar sind. Die Fakten wiederum sind das Ergebnis von Handlungen der verschiedenen Akteure und die Motive, die zu diesen Handlungen führten, werden berücksichtigt, insofern sie sich aus Dokumenten entnehmen lassen. Die letztlich spannende Frage wäre, wie sich die Motive der handelnden Akteure gebildet haben. Wenn Bismarck das deutsche Reich mit Blut und Eisen schmieden wollte und hierfür eine Reihe von Kriegen anzettelte, gegen Dänemark, gegen Österreich und gegen Frankreich, stellt sich eigentlich die Frage, warum. Die Kleinstaaten waren eigentlich idyllisch und kulturell, z.B. Weimar, bedeutsam. Ein deutscher Bund, also so was wie die EU, freier Verkehr von Kapital, Gütern, Arbeit und Dienstleistungen hätte es auch getan. Im Nachhinein kann man sagen, dass man sich viel Ärger erspart hätte, wenn man die deutschsprachigen Fürstentümer nie vereinigt hätte, aber das Elend beginnt schon mit Friedrich dem Großen, der wohl eher ein ziemlicher Giftzwerg war. Die erste Schicht der Zwiebel sind des Weiteren einige wenige handelnde Personen, deren Handlungsspielraum allerdings durch die wirtschaftlich, technische Entwicklung vollkommen determiniert war. Hätten die USA lediglich ein wirtschaftliches Potential wie Südamerika gehabt, hätte es wesentlich länger gedauert, bis der braune Spuk wieder vorbei ist. Die wirtschaftlich / technische Entwicklung, letztlich die entscheidende Komponente, lässt sich aber durch das Agieren einzelner Gestalten nicht erklären. Hier ist der systemische Ansatz der Volkswirtschaftslehre wesentlich zielführender.