Bei Natur- und Ingenieurswissenschaften gibt es zwei Kriterien für Relevanz: Empirische Belastbarkeit und Beitrag zur Lösung konkreter Probleme. Es gibt also objektive Kriterien, die die Ressourcen lenken. Wer als Naturwissenschaftler keine empirisch belastbaren Thesen liefert, wird sich im Wissenschaftsbetrieb nicht halten können. Wer als Ingenieur keinen Beitrag leistet zur Lösung konkreter Probleme, wird durch einen anderen ersetzt. Bei den Geisteswissenschaften haben wir so was nicht. Geisteswissenschaftler wären eher in der Lage eine gesellschaftlich sinnvolle Funktion auszuüben, wenn sie sich als Künstler sehen und weniger als Wissenschaftler, was sie de facto nicht sind und auch nicht sein können. Anzunehmen, dass der Produktion geistiger Artefakte durch einen Künstler ganz andere Mechanismen zugrunde liegen, als der Rezeption, das eine also einem Impuls geschuldet ist, den man vage mit künstlerisch bezeichnen könnte, das andere aber sich durch rationale Analyse vollkommen erklären lässt, ist gaga. Genau so wenig wie die Produktion eines geistigen Artefaktes eine wissenschaftliche Tätigkeit ist, ist die Rezeption des geistigen Artefaktes eine wissenschaftliche Tätigkeit. Die Vorstellung, dass man einen komplexen psychischen Prozess, der einem Spannungsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt Ausdruck verleiht, verstehen könne, hebt die Trennung zwischen Kunst und Wissenschaft auf. Würde man Kunst verstehen, ließe sie sich beliebig reproduzieren. Man könnte einen Joan Miró so oft und beliebig reproduzieren wie einen Verbrennungsmotor. Das ist zwar das, was die Pop Art behauptet, aber diese Erkenntnis hat sie intuitiv gewonnen und ist im übrigen widersprüchlich. Wenn ein Individuum feststellt, dass noch die intimsten Regungen des Bewusstseins vom Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse determiniert sind, dann gibt es dieses Individuum offensichtlich noch. Bei völliger Gleichschaltung, würde das niemandem auffallen. Gleichgeschaltet sind höchstens die Zitierwissenschaftler. In der Blase gibt es vielleicht einen Kampf um eine Anstellung als Beamter, aber kein Spannungsverhältnis.
Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
Solange es nichts gibt, was das Individuum unmittelbar auf sich zurückwirft, aus welchen Gründen auch immer, gibt es nichts, das es auszudrücken wünscht oder kann und nichts, was zu vermitteln wäre. Wahrheit in den Geisteswissenschaften bedeutet schlicht Authentizität. Was das genau ist, wissen wir zwar nicht, aber zumindest ist einigermaßen bestimmbar, was es nicht ist. Wenn jemand sich mit der Theologie von Thomas von Aquin in der Divina Commedia beschäftigt um eine Festanstellung als Beamter in den Heiligen Hallen des Geistes zu ergattern, dann ist der Geist das Mittel, nicht das Ziel. Außer den armen Wichten in der Prüfungskommission, die den Quark dann lesen müssen, wird das allerdings niemanden interessieren und wenn nicht die Festanstellung winken würde, zunehmend erfolglos, dann würde er sich auch nicht damit beschäftigen, denn das ist weder spaßig, noch erhellend noch interessant. Ähnlich wie in der Nachrichtenindustrie die Relevanz einer Nachricht allein durch ihre Omnipräsenz auf allen Kanälen dokumentiert wird, ergibt sich die Relevanz des Geistes in der akademischen Welt aus der Festigkeit, mit der er im System implementiert ist und die Nicht- Beherrschung des Kanons sanktioniert werden kann. Fehlt ein inhaltlicher Anker, so rücken zwangsläufig andere Aspekte in den Vordergrund. Wem der Inhalt egal ist, der wird eben über Ernst Jünger promovieren und nicht über Erich Maria Remarque, wenn die Zeitläufe das geraten sein lassen. Um es mal auf den Punkt zu bringen. Das Problem haben wir ja auch heute noch bei Förderprogrammen des BMBF. Egal wie unsinnig und irrelevant das Thema, es findet sich immer irgendein Idiot, der einen Antrag einreicht.
Ähnliche Probleme haben wir immer, wenn der Staat durch die Förderung Erwartungen vorgibt. Während sich staatlich geförderte Kunst aller Sparten bewusst oder unbewusst an einer Erwartungshaltung orientiert, brauchen Künstler außerhalb dieser Förderung ein Publikum. Die Innovationskraft ist da bedeutend höher. La Fura del Baus oder der Cirque du Soleil, um mal zwei sehr prominente Beispiele zu nennen, müssen einen Nerv treffen, andernfalls gehen sie Pleite. Seit dem Film Carmen von Carlos Saura, weiß jeder, dass die Liebe ein rebellischer Vogel ist, der keine Gesetze kennt. Das war durchschlagender als alle Millionen Euro an Kulturförderung der letzten fünfzig Jahre. Der nicht subventionierte Markt für Musik bringt eine weit größere Vielfalt hervor, als der subventionierte Bereich, der insgesamt gesehen auch bedeutungslos ist. Wer ohne Netz und doppelten Boden Kunst produziert, der hatte eine Mission. Schiller hat den Druck der Räuber selber finanziert, was fast den finanziellen Ruin bedeutet hätte. Vermutlich würden wir nichts vermissen, wenn man die Förderung des Geistes auf allen Ebenen streicht.