Zumindest in staatstragenden Reden sollen die Kontemplationswissenschaften dazu beitragen, die Welt, die Gesellschaft, die Geschichte, geistige Artefakte oder was auch immer zu erkennen bzw. zu verstehen. Zumindest das Programm ist also immer das gleiche wie auch bei Hegel, der Weltgeist will ja auch erkennen, wer er ist. Die Frage ist nur wozu? Wird danach gefragt, sind die Antwort Worthülsen. Die Geschichte z.B. soll Orientierungshilfen geben bzw. man soll aus der Geschichte was lernen. Wenn wir den Beginn der Geschichtsschreibung mit Herodot beginnen lassen, dann hatten wir inzwischen 2500 Jahre Geschichte, aus der wir Orientierungshilfen ableiten können. Wir können dann schon bei den alten Römern lernen, dass Sklaverei zumindest eine Zeitlang ein attraktives Geschäftsmodell war, weswegen die brasilianischen Plantagenbesitzer das Modell übernommen haben. Da hat also die Geschichte eine echte Orientierungshilfe geboten, aber wahrscheinlich hätten die dieses Geschäftsmodell auch ohne die Römer für sich entdeckt. Solange Aussicht auf Gewinn besteht, werden die Muster ad calendas graecas wiederholt, die Orientierung ist ohne jede Kenntnis der Geschichte immer gegeben. Da bestimmte Verhaltensmuster manchmal erfolgreich sind und manchmal nicht, sich also manchmal auszahlen und manchmal nicht, hängt es von der Einschätzung der Gewinnchancen ab, ob dem Muster gefolgt wird oder nicht. Manchmal führt aber auch eine Änderung der ökonomisch / technischen Basis dazu, dass ein völlig anderes Muster gefahren wird. Um Öl z.B. wird man wohl in Zukunft keine Kriege mehr führen, da die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückgehen muss. Um Kolonien wird man auch keine Kriege mehr führen, denn die sind ökonomisch hochgradig unrentabel. Textilien kann man heutzutage in Indien zu Sklavenlöhnen zusammennähen lassen, dafür braucht man das Land gar nicht erobern. Also wenn es um Orientierungshilfe geht, dann können wir die Abteilung Geschichtswissenschaft jetzt schließen. 2500 Jahre Orientierungshilfe muss reichen. Was bis jetzt nichts wurde, das wird auch in Zukunft nichts und der Orientierungshilfe wird auch nicht gefolgt, wenn die Interessen andere sind.
Der Fokus der Kontemplationswissenschaftler liegt in der Beschreibung der Phänomene. Verstehen in den Kontemplationswissenschaften könnte maximal bedeuten, dass man versteht, warum etwas so ist, wie es ist, was zwar sinnlos wäre, siehe II, aber denkbar. Der Fokus der Natur- und insbesondere der Naturwissenschaften liegt im Handeln. Das trifft auch für die Grundlagenforschung zu. Um LED Leuchten herzustellen, braucht man die entsprechenden Halbleiterkristalle. Tendenziell ist also der Horizont bei den Naturwissenschaften / Ingenieurwissenschaften enger. Es gibt ein konkretes Problem, das gelöst werden muss, wobei es unmittelbar einsichtig ist, dass die Lösung des Problems Vorteile bringt. Bei den Kontemplationswissenschaften liegt ein solches Problem nicht vor, bzw. die Konstatierung eines Problems wäre nur möglich, wenn bestimmte Verhaltensweisen als problematisch angesehen werden und es möglich wäre, durch Aufklärung dieser problematischen Verhaltensweisen zu ändern. Die Kontemplationswissenschaften müssten also eine Vorstellung einer idealen Gesellschaft haben, bzw. eine Vorstellung darüber haben, wie die subjektive Perspektive auf die Welt das Handeln beeinflusst und diese gegebenenfalls verändert werden kann. Das widerspricht aber schon im Ansatz dem Programm der Kontemplationswissenschaften. Die beschäftigen sich ja damit ein Phänomen zu verstehen, bzw. zu beschreiben und nicht damit, wie es auf den Empfänger wirkt, bzw. was es bei diesem auslöst. Darauf zielt aber z.B. die litterature engagée. Die Botschaft soll nicht nur verstanden werden sondern auch einen Perspektivwechsel auslösen.
Was immer das Ziel der Kontemplationswissenschaften ist, die Menschen zu bessern und zu bekehren, was Faust sich mal erhoffte, sie gegen Barbarei zu immunisieren, eine Identität zu schaffen bzw. sich einer solchen bewusst zu werden, die Perspektive auf die Welt zu verändern, so dass z.B. auch komplexere Ziele verfolgt werden, etc. etc.., immer wird davon ausgegangen, dass die Ziele in der Gesellschaft nicht oder nur unzureichend realisiert sind. Der Mann auf der Straße würde das gar nicht so ohne weiteres akzeptieren. Nur sehr wenige Menschen würden offen zugeben, dass sie gebessert und bekehrt werden müssen, dass in ihnen ein Monster lauert, das ausbricht, wenn die Gelegenheit hierfür günstig ist, dass mit ihrer Identität irgendwas nicht stimme, oder dass die Ziele, die sie verfolgen, trivial oder was auch immer sind. Selbst wenn es zutrifft und selbst wenn man konzediert, dass der Geist einen positiven Beitrag leisten kann, ist dieser positive Beitrag erst ex post vermittelbar. Erst wer die, nennen wir sie mal Bewusstseinserweiterung, erfahren hat, kann im Nachhinein feststellen, dass eine solche stattgefunden hat. Um es mal zu vereinfachen: Man kann z.B. niemandem erklären, was ein geistiges Artefakt bewirkt, der es noch nicht erfahren hat. Für Leute, die sich nicht aus anderen Gründen mit dem Kanon identifizieren, ist das humboldtsche Bildungsideal schlicht eine Worthülse, kongenial zum sozialistischen Menschen. Zwei Worthülsen kann man immer miteinander vergleichen, denn die reine Leere ist mit der reinen Leere immer identisch.