Hinsichtlich der hochgradig differenzierten Wissensbereiche hat unser verbeamteter Schreiberling wohl bei Heidegger abgeschrieben. Der palaverte in seiner Rektoratsrede 1934 auch schon von Verkapselung der Wissenschaften in gesonderte Fächer, die jetzt unter der gestrengen Anleitung des Führers wieder rückgängig gemacht werden sollte, damit das deutsche Wesen wieder erblühe. Vielleicht hat er auch von Humboldt abgeschrieben, aber letztlich ist das egal, denn die DFG, die vom BMBF finanziert wird, wird jeden Antrag auf Förderung ablehnen, wenn er von einem Universaldilettanten gestellt wird. Interdisziplinarität schlägt sich in neuen Fachrichtungen nieder, Biophysik, Bioinformatik, Biochemie, Astrophysik, Computerlinguistik, Wirtschaftsinformatik etc., wenn dies fachlich und inhaltlich sinnvoll ist. Weder Heidegger noch Humboldt sind da relevant.
Davon abgesehen hat der Autor schon die Erfahrung gemacht, dass ein Romanistik Professor gnadenlos überfordert ist, wenn in einer Seminararbeit Adorno auftaucht. Das ist dann ein anderes Fach. So was geht allerhöchstens, wenn in der Prüfungsordnung fachfremde Scheine anerkannt werden. Die Aussage, dass die Geisteswissenschaften eher interdisziplinär aufgestellt sind, ist völliger Blödsinn. Selbst bei Wirtschaftsgeschichte, das gibt es als Fach, darf man bei den Professoren weder auch nur grundlegende Kenntnisse in Makroökonomie erwarten, noch dass sie die grundlegende Werke, Adam Smith (Wealth of Nations), Alfred Marshall (Principles of Economics), David Ricardo (On the Principles of Political Economy and Taxation), Jean Baptiste Say (Traité d’économie politique) etc. kennen, geschweige denn gelesen haben. Was Interdisziplinarität angeht, sind die Natur- und Ingenieurswissenschaften viel weiter, was auch schlicht daran liegt, dass die Komplexität derartig hoch ist, dass es ohne Kooperation nicht mehr geht. Bestimmte Analysen z.B. können nur von hochspezialisierten Spezialisten durchgeführt werden, die anderen Forschungsgruppen, die auf deren Ergebnisse angewiesen sind, zuarbeiten.
Unstrittig spielt der Geist in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Was ist los mit einer Gesellschaft, die ein hochgradig effizientes Mittel zur Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung, das Internet, an die Hand bekommt und letztlich bei Facebook und Twitter landet? Was ist los mit einer Gesellschaft, die moderne Kommunikationsmittel mehr zum sinnfreien Spielen und herumballern nutzt, als zur Bewusstseinserweiterung? Was ist los mit Politikern, die das Internet vor allem als Medium zur Verbreitung von hate speech sehen und die ganze Diskussion in den achtziger Jahren über die Bildzeitung schon vergessen haben, die auch geflissentlich übersehen, dass es nach wie vor die Massenmedien sind, die die öffentliche Debatte bestimmen? Wie kann es sein, dass trotz der Präsenz des Kanons in den Schulen, die Kids von Strömungen wie dem Rap erfasst werden, die mit ihrer Lebenswirklichkeit gar nichts zu tun haben. Schwer verständlich ist, warum die Kids sich auf einmal mit völlig verblödeten Losern identifizieren, die von Goldkettchen, Maseratis und Bitches phantasieren, die sie nie haben werden. Im Vergleich dazu ist der Spießer, der zum Bildungsbürgertum gehören will, geradezu sympathisch.
Ein Thema für die Geisteswissenschaften könnte sein, dass jeder Punkt der Erde zwar inzwischen für jedermann erreichbar ist, aber jeder Punkt der Erde zunehmend gleich ist. Ob das Kreuzfahrtschiff durch die Antillen schippert oder das Mittelmeer, ist weitgehend egal, ein Ressort in Playa del Carmen sieht so aus, wie ein Ressort in Tunesien und ein Haufen Steine sind ein Haufen Steine, ob es die Pyramiden sind in Ägypten bzw. México oder Machu Pichu, ist weitgehend egal. Steine schweigen nun mal beharrlich vor sich hin und sind stumm wie ein Fisch. Geisteswissenschaften könnten Begriffe auf Authentizität, auf Erfahrungsgehalt, abklopfen, tun aber das Gegenteil. Die pseudowissenschaftliche Produktion von Worthülsen leistet der Verwendung von Worthülsen noch Vorschub. Und ja, es gibt im Alltag Probleme. Der humboldtsche Mensch hat am Fließband ein Problem. Hier könnten die Geisteswissenschaften auf dessen Rechte beharren, andernfalls verabschiedet dieser sich nämlich von dem Kanon, der seinen Alltag lediglich verkompliziert. Hier steckt ein Problem, das man aber nur erkennt, wenn man eine gewissen Berufs- und Lebenserfahrung hat, die man allerdings in der universitären Wärmestube nicht erhält.