Lo giorno se n’andava, e l’aere bruno
toglieva li animai che sono in terra
da le fatiche loro; e io sol uno 3
m’apparecchiava a sostener la guerra
sì del cammino e sì de la pietate,
che ritrarrà la mente che non erra. 6
O muse, o alto ingegno, or m’aiutate;
o mente che scrivesti ciò ch’io vidi,
qui si parrà la tua nobilitate.
——————————
Der Tag entwich, die Dämmerung brach ein;
Sie nahm den Wesen, die auf Erden leben,
All ihre Mühsal ab – und ich allein
Hielt mich bereit, das Ringen anzuheben
Mit Wegesmüh und Mitleid: hiervon sei
Getreulich ein Erinnrungsbild gegeben! –
O Musen, Himmelstöchter, steht mir bei;
Gedächtnis, das du schriebst, was ich gesehen,
Jetzt offenbare deinen Adel frei!
Das ist was anderes, als die Schilderung der Verhältnisse in Prosa, die ginge in etwa so: Der Rest der Menschheit lag in der Falle und hatte folglich erst mal keine Sorgen mehr, während ich mich hingesetzt habe und mal niedergeschrieben habe, was ich erlebt habe. Dass Goethes Faust auf breiter Basis in die deutsche Umgangssprache eingedrungen ist und zahlreiche Redewendungen, z.B. grau mein Freund ist alle Theorie / und grün des Lebens goldener Baum, aus dem Faust stammen, auch wenn dies den Leuten gar nicht bewusst ist, hängt mit dem Stil zusammen. Auch eine einfache Aussage, die eben stilistisch gut ausgedrückt ist, kann recht hübsch sein. Man könnte, um bei diesem Beispiel zu bleiben, auch Probieren geht über Studieren sagen, aber das ist eben nicht so hübsch. Der Stil kann die eigentliche Sachaussage völlig überlagern und diese zur Nebensache werden lassen. Bekanntlich gibt es ja eine Redensart, die das Schwabentum kurz und bündig zusammenfasst.
Schaffa, schaffa Häusle baua
ond et noch de Mädl schaue
Auf Hochdeutsch sähe das so aus.
Arbeiten, arbeiten Häuser bauen
und nicht nach den Mädchen schauen
Die Sachaussage ist dieselbe. Wer zu oft den Mädchen hinterher schaut, baut kleinere Häuser, ist dann nicht so zielstrebig. (Oder fällt vom Gerüst, dann baut er gar keine Häuser mehr.) Umgekehrt wird der semantische Wert unter Umständen zur Nebensache. Das passiert z.B. dann, wenn man ein Gedicht auf Hochdeutsch auf Schwäbisch vorträgt. Das war ja das Problem Schillers. Hat er seine Gedichte selber vorgetragen, dann war das Schwäbisch und das bodenständige Schwäbisch eignet sich nun mal nicht für idealistische Höhenflüge. Der erhoffte Effekt stellte sich nicht ein und folglich hat er seine Gedichte vorlesen lassen. (Was genau genommen auch wieder merkwürdig ist. Da hat ihm sozusagen seine innere Stimme gesagt, wie es klingen soll und kann.) Manche Leute sind auch der Meinung, dass es Sprachkunstwerke gibt. Das ist ein Irrtum. Es gibt nur Nichtsprachkunstwerke. Wörter beziehen sich zwar nicht wie Saussure sich das vorstellt auf etwas Konkretes in der außersprachlichen Wirklichkeit, auf ein signifié, wie Saussure das nennt, sondern auf einen äußerst komplexen Assoziationsraum, aber Wörter beschreiben nur. Der Stil bezieht sich auf nichts Konkretes, er beschreibt unsprachlich die Perspektive, aus der die Dinge betrachtet werden.
Je nach Stil kann sich auch die Perspektive verändern. Zum Herbst gibt es auch andere Gedichte von Theodor Storm, wo dieser in einem positiveren Licht gesehen wird.
Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden!
Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.
Wir haben in dem Gedicht eine meteorologische Beschreibung: In der Frühe ist mit Bodennebel zu rechnen, der sich aber im Laufe des Tages auflösen wird, wobei der Himmel bedeckt bleibt. Das Beste was man tun kann, ist sich ein Glas Wein einzuschenken und auf den Frühling zu warten, wo der Himmel wieder blau erstrahlen wird. Ein Wetterbericht ist aber bzgl. der emotionalen Bewertung neutral. Das Gedicht erzielt seine Wirkung nicht durch die Sprache, auch wenn das intuitiv nahe liegt. Das gleiche gilt auch für das Lied der Toten Hosen. Jeder versteht es, unklar ist nur warum.
An Tagen wie diesen
wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diesen haben wir noch ewig Zeit
In dieser Nacht der Nächte,
die uns soviel verspricht
Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht
Man kann versuchen, sich was darunter vorzustellen, vielleicht so was wie Amy McDonald in dem Lied This is a live beschreibt, also irgendeine Nacht mit hoher Erfahrungsdichte, in der das Leben tobt, oder ein Liebespaar, wie es Jaques Prévert in dem Gedicht Rappelle-toi Barbara beschreibt.
Auch der Text von den Toten Hosen ließe sich natürlich in simple Prosa übertragen, wäre dann aber effektlos. Möglich, dass die Leute auf gemachte Erfahrungen zurückgreifen, aber vermutlich ist die spontane Begeisterung durch etwas bedingt, was so konkret mit dem Text gar nichts zu tun hat. Wird es noch gespielt anlässlich der Wahlparty der CDU / CSU im Jahr 2017, dann kann es mit dem Text nichts zu tun haben. Wenn selbst noch Kauder begeistert ist, dann kann die Erklärung nicht sein, dass auf persönliche Erfahrungen zurückgegriffen wird.