Wenn man es beschreiben will, hätte man in etwa so was: Die Reminiszenzen an bekannte graphische Figuren erinnern uns an einen Sternenhimmel, der uns aber normalerweise als unvermittelt in seiner Übermacht gegenübertritt. So sehr der Weltraum die Menschheit auch von jeher fasziniert, er ist die maximale Entfremdung, der Raum, in dem der Mensch nichts mehr bedeutet. Kandinsky schafft hier einen eigenen Weltraum, einen Gegenentwurf, indem auch die physikalischen Gesetze nicht mehr gelten. Im Gegenentwurf ist die Entfremdung aufgehoben. Ginge es
also um das Verstehen, dann könnte man auch die Beschreibung einrahmen und an die Wand hängen. Das wird aber niemand tun, weil die Beschreibung das Eigentliche nicht enthält. „Wahr“ ist dieses Bild und andere, wenn die Bedeutung intersubjektiv nachvollziehbar ist, was offensichtlich der Fall ist, denn Bilder von Wassily Kandinsky hängen millionenfach in Wohnungen. Genau wie bei dem Vers bleibt unklar, worin die Überschreitung und der Überschuss besteht, aber er ist zweifelsfrei vorhanden. Würde der Autor dieser Zeilen ein Bild malen, wäre, sehr zu seinem Bedauern, kein Überschuss vorhanden. Ein Bild des Autors wäre leider reiner Unsinn.

Der Überschuss muss, um intersubjektiv zu sein, authentisch sein, womit wir beim nächsten Begriff sind, der sich der Begrifflichkeit entzieht. Authentizität hat was zu tun mit Unmittelbarkeit. Wenn Schüler also den Panther lesen, weil der Lehrplan dies vorschreibt, dann ist es nicht mehr der Überschuss, der die Rezeption bedingt, sondern die nächste Klausur und bei den Lehrern ist das Tier, das hinter den Tausend Stäben keine Welt sieht, durch das Kultusministerium und den Lehrplan vermittelt. Der Überschuss ist auf der einen Seite also die Punktzahl in der nächsten Klausur und die anderen besorgen sich Arbeitsblätter beim Kollegen, dann haben sie eine Unterrichtsstunde hinter sich gebracht. Es geht also nicht mehr um den Panther. Der ist nur noch Mittel zum Zweck.

Ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen Heideggers, ist Unmittelbarkeit aber keine Konstante, sondern eine dynamische Entwicklung. Was bei einem Menschen des Jahres 2019 einschlägt wie der Hammer, der auf den Amboss knallt, wäre noch vor 100 Jahren mit interesseloser Gleichgültigkeit oder sogar mit massiver Ablehnung zur Kenntnis genommen worden. Da irrt Heidegger massiv und Adorno sieht das richtig. Spontanes, authentisches Erfassen, ist manchmal ein hartes Stück Arbeit und ein langfristiger Prozess.

Damit ist aber lediglich gesagt, dass es eine Wahrheit bei geistigen Artefakten gibt. Ungeklärt bleibt, warum die einen sich damit beschäftigen, solche hervorzubringen und andere Gefallen daran finden. Die Motive bleiben unklar. Wir wissen nicht, warum Kandinsky das malte und warum andere es sehen wollen. Vermutlich sind aber die Gründe, warum der eine das malte und die anderen das sehen wollen, ähnlich.

Bei den Geisteswissenschaften ist eigentlich gar nichts klar. Klar ist nur, sie beschäftigen sich mit dem Geist, was immer das sein mag. Der Geist entsteht irgendwie bzw. ist der Motor, der irgendwas treibt. Der Geist vermittelt irgendwie auch eine an sich unvermittelte, stumme Welt, gibt ihr eine Bedeutung, denn eine leere Welt, sorgt nicht gerade für heimatliche Gefühle.
Obwohl auch das irgendwie kompliziert ist. Ist die Welt in ihrer totalen Entfremdung dargestellt, also eine Welt, die dem Bewusstsein unvermittelt gegenübersteht, dann ist diese Unvermitteltheit schon wieder eine Art Vermitteltheit. Die maximal Entfremdung sind diese Verse.

Alle meine Entchen schwimmen auf dem See Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh

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