Wenn man den Geist versteht, dann geht der Überschuss verloren. Den Geist verstehen, heißt ihn vom Überschuss befreien. Ohne Überschuss ist er ein sinnloses Wortgeklingel.

Mit Worten lässt sich trefflich streiten mit Worten ein System bereiten
an Worte lässt sich trefflich glauben,
von einem Wort lässt sich kein Jota rauben

Sagt Mephistopheles im Faust. Der Anker der Worte ist die dahinter stehende Erfahrung. Bei den meisten Wörtern wie Tisch, Haus, Apfel ist der Erfahrungsschatz, der dem Wort seinen Sinn gibt, trivial und bei allen Menschen gleich. Bei komplexeren Begriffen ist das anders. Ihr Anker sind komplexe Erfahrungen und Prozesse. Fehlen diese, werden sie zu einem ungedeckten Wechsel, für den niemand mehr bürgt. Das heißt nicht, dass diese Worte keine Energie mehr haben und die Wangen der Massen erröten lassen, die Wähler der AfD z.B. geraten Verzückung, wenn sie nur das Wort Patriot, deutsche Kultur, deutsche Identität, tausendjährige Geschichte, etc. hören, nur einen Überschuss haben die Worte dann nicht mehr. Woher die Worte dann ihre Energie ziehen ist zwar unklar, aber auf jeden Fall nicht aus
dem Erfahrungsschatz. Das Gedicht von Rilke

Wir sind nur Mund, wer singt das stille Herz das heil inmitten aller Dinge weilt

verweist auf den Erfahrungsschatz, ohne den die Worte im Leerlauf drehen. Worte sind eine höchst individuelle Angelegenheit. Heimat kann etwas bedeuten, z.B. das, um es mit Bloch zu sagen, was jedem in die Kindheit scheint und wo noch niemand war. Bei der AfD allerdings, um mal ein Beispiel zu nennen, ist Heimat eher Angst vor der Globalisierung. Identität ist für manche Leute das Kollektiv und nicht, wie der Begriff suggeriert, der Prozess, der in der Welt gefunden hat, was ihm entspricht, also das proustsche vrai moi. Haben alle eine identische Identität, dann ist die Identität verloren gegangen. Man sollte sich das immer wieder klar machen. Über dem Orakel von Delphi stand „Erkenne dich selbst“. Da stand nicht, erkenne den Weltgeist, die Nation oder was auch immer. Erkennen ist ein höchst individuelle Angelegenheit. Das trifft auch auf das Denken zu. Wenn alle das Gleich denken, dann denkt keiner mehr.

Skurril am Begriff Heimat ist, dass er an Orten festgemacht wird, obwohl er sich eigentlich nur auf Momente beziehen kann. Heimat ist z.B. intensive Vertrautheit, wo nichts mehr fremd ist, aber alles geladen mit Spannung. Die Heimat der Afd ist eher das kleine Dorf, weit fort, wo man schon lange nicht mehr war, aber die Erinnerung sagt einem, dass man sich zwischen Kartoffeläckern und Kohl nicht so richtig wohl fühlen kann. Um es mal mit Hannes Wader zu sagen. Die Erfahrung von Heimat sind wohl eher Momente. Die kann man auch in Korsika am Strand machen, wenn mit Freunden am Lagerfeuer im Schlafsack in den Himmel schaut und über das Schöne und Erhabene plaudert und sich eine Welt vorstellt, wo eine Vorstellung von großer Ankunft besteht.

In der öffentlichen Diskussion stehen sich, ohne dass dies richtig deutlich wird, zwei unterschiedliche Positionen gegenüber. Die eine Position, ein extremes Beispiel hierfür ist das Gedöns mit dem Nationalcharakter, geht davon aus, dass eine Identität geschaffen werden muss. Die andere Position geht davon aus, dass eben selbige gefunden werden soll, jeder für sich. Das sind zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze, mit einer völlig unterschiedlichen didaktischen Herangehensweise. Bei der ersteren werden Inhalte vermittelt, die sich zu einem umfassenden Weltbild zusammenfügen, was hierzu nicht passt, wird ausgeklammert. Bei der anderen Position wird ein in sich widersprüchliches Angebot gemacht und der einzelne muss sich dann aussuchen, was er für richtig hält, was ihn begeistert, beeindruckt, gefällt, fasziniert oder was auch immer. Da naheliegenderweise bei letzterem Ansatz Grenzen gezogen werden müssen, sind die Grenzen fließend. Verblüffenderweise scheint ersteres weniger Arbeit zu erfordern, als letzteres.

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