Der Philosoph, der tritt herein
Und beweist Euch, es müßt so sein:
Das Erst wär so, das Zweite so,
Und drum das Dritt und Vierte so;
Und wenn das Erst und Zweit nicht wär,
Das Dritt und Viert wär nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae* nennt’s die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
* Zugriff der Natur. Die Vorstellung, dass es Kräfte gibt, die dazu führen, dass unterschiedliche Substanzen Verbindungen miteinander eingehen. Hier ist wohl gemeint, dass die Authentizität einer Erfahrung, also deren Wahrheit, zwar intersubjektiv wahrgenommen wird, aber nicht in Begriffen vermittelt werden kann.
Der Geist bewegt sich also zwischen Skylla und Charibdis. Sein Inhalt kann reine Projektionsfläche sein für irre Wahnvorstellungen, dann landen wir bei Heidegger und Co, und sich in der Beliebigkeit auflösen, wenn er mit Worthülsen beballert wird, siehe IV. Zutreffend ist, dass die Geisteswissenschaftler, also die Philosophen, zwar nicht irrlichtern, aber auch keine geistigen Artefakte hervorbringen, also keine Weber werden. Das Problem der Geisteswissenschaften ist, dass die Worthülse durch radikale Fragestellungen, die die Gesellschaft stellt, ziemlich schnell entlarvt wird. Wenn der vergeistigte Benedikt XVI wortreich darlegt, dass man ohne Gott die Würde des Menschen nicht fundieren könne, dann würde der gesunde Menschenverstand schlicht sagen, der Mann muss zum Psychiater. Wer Gott braucht, um Empathie zu empfinden, muss zum Psychiater.
Die Geschichte lehrt uns, dass wir aus der Geschichte nichts lernen. Bleibt man auf der obersten Ebene, auf der Ebene der handelnden Personen, dann wiederholt sie sich sowieso nicht, denn die personelle Ausstattung ist immer höchst kontingent. Nimmt man andere Teilbereiche in den Blick, etwa die Wirtschaft, dann sind die Umwälzungen innerhalb von 50 Jahren so radikal, dass die Analyse früherer Epochen wenig ergiebig ist, zumal Geisteswissenschaftler von dem relevantesten Teilbereich, der Wirtschaft, nichts verstehen. Der Autor hat während seines ganzen Studiums keinen Professor getroffen, der richtungsweisende Abhandlungen, etwa die General Theory of Employment, Interest and Money gelesen hat. Des weiteren ist völlig unklar, wer denn überhaupt was lernen soll. Wenn die Leute etwas lernen, die ohnehin keinen Einfluss haben auf gesellschaftliche Entwicklungen, dann braucht man Geschichte nicht als Massenveranstaltung.
Wenn die Idee ist, dass breite Schichten der Bevölkerung aufgrund von Erfahrungen der Geschichte problematische Verhaltensweisen ablegen, dann ist das a) hoffnungslos und b) bräuchte man dann eine andere Art der Geschichtsschreibung, bzw. eine Geschichtsschreibung, die auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft abstellt. Eine Konstante der Geschichte ist z.B., dass Menschen sich von irgendwelchen Häuptlingen gewollt oder ungewollt in Abenteuer hineinziehen lassen, die sie nicht verstehen. Ähnlich desorientiert wie der römische Soldat in Germanien steht der Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Beide nehmen an einem Abenteuer teil, das sie nicht verstehen. Ob man für diese Erkenntnis Geschichte braucht, ist unklar. Hilfreicher wäre eher eine Diskussion über das Informationsfreiheitsgesetz und dessen Durchsetzung ohne Wenn und Aber. Im öffentlichen Raum besteht aber die Vorstellung, dass Geschichte identitätsstiftend ist. Die Fernsehserie im ARD „Wir Deutschen“ geht z.B. davon aus, dass es die Gruppe der Deutschen gibt, die dann im Verlaufe der Sendung mehr über sich erfahren soll, wobei allerdings völlig unklar bleibt, was man konkret als Mitglied dieser Gruppe erfährt, wenn man lernt, dass Barbarossa nach Italien marschiert ist. Wahrscheinlich weiß das auch Gauland von der AfD nicht so genau. Da haben die Deutschen zwar eine stolze tausendjährige Geschichte, aber prägender als diese tausendjährige Geschichte dürfte die Erfindung der Glühbirne sein, weil diese den Alltag maßgeblich beeinflusst, was man von den Heldentaten Otto des Großen nicht behaupten kann. Im völkischen Umfeld geht es wohl weniger um das Herausarbeiten einer Identität, als um die Schaffung einer solchen. Möglicherweise gelingt das, denn eine Gruppe kann auch Weltmeister in verschiedenen Mannschaftssportarten werden, wenn es dem Endspiel vom Sofa aus zugesehen hat. Es gilt, was immer gilt: Verstehen kann man das Phänomen nicht, aber die Existenz des Phänomens ist empirisch belastbar nachweisbar.
Dass aus der Geschichte etwas gelernt wird, scheitert aber noch aus einem viel elementareren Grund. Wenn die Erkenntnis keinen konkreten, persönlichen Nutzen bringt, dann bleibt sie unberücksichtigt. Man kann einem Bankräuber tausendmal erklären und mit zahlreichen der Geschichte entnommenen Beispielen verdeutlichen, dass es wahrscheinlich schief geht, er wird es trotzdem immer wieder versuchen. Die Erkenntnis wird also das Verhalten nicht beeinflussen, das Problem kann nur systemisch gelöst werden, der Versuch die Menschen zu bessern und zu bekehren ist nicht zielführend, der systemische Ansatz von Adam Smith ist da überzeugender. Da der Unternehmer nur Gewinn machen kann, wenn er im Wettbewerb bestehen kann, reicht es, dass der Staat den Wettbewerb aufrechterhält. Da des weiteren auch der Bankräuber in einem demokratischen Entscheidungsprozess sich gegen die Legalisierung des Bankraubs aussprechen wird, andernfalls wäre ihm ja die Geschäftsgrundlage entzogen, verwirklicht die Demokratie den kantschen Imperativ. Die freie Marktwirtschaft und die Demokratie sind nicht darauf angewiesen, auf das Gute im Menschen zu hoffen. Das ist ein gewaltiger Vorteil.