Anders formuliert. Wenn die Leute etwas suchen, was sie eigentlich nicht brauchen, dann wäre es eine sinnvolle Beschäftigung für die Geisteswissenschaften den Leuten zu helfen, das zu suchen, was sie brauchen, bzw. den Leuten zu vermitteln, dass es in der großen weiten Welt Dinge gibt, die mehr sind als Unterhaltung. Wer nicht mal weiß, was er sucht, hat wenig Chancen etwas zu finden.

Die eingangs gestellte Frage, was passieren würde, wenn der Geist abwesend ist, lässt sich also beantworten. Was Orientierung und Wertevermittlung betrifft, würde bei Abwesenheit des beliebigen und flexiblen Geistes der Geisteswissenschaften schlicht gar nichts passieren. Unter Umständen hätten autoritäre Staaten lediglich ein Problem, ihrer ideologischen Ausrichtung einen schöngeistigen Überbau zu schaffen. Der Kanon an sich würde in einem autoritären System stören, wenn er im Raum verbliebe. Eine fundamental kritische Haltung, wie sie etwas Omar Khayyam vertritt, stört z.B. im Iran. Das stammt aus dem 12. Jahrhundert.

Von allen Menschen, die ich je gekannt,
Ich nur zwei Menschen glücklich fand.
Den, der der Welt Geheimnis tief erforscht,
Und den, der nicht ein Wort davon verstand.

Das ist eine Absage an jede Art von religiösem Fanatismus. Der subventionierte Geist sorgt dann dafür, dass der Kanon erfahrbar bleibt, im öffentlichen Raum verbleibt, und opponieren kann. Verbleibt der Kanon im öffentlichen Raum und genießt Ansehen, aus welchen Gründen auch immer, und sei es nur aus dem banalen Grund, weil bestimmte Leute sich über den Kanon als überlegene Gruppe definieren, etwa als Bildungsbürgertum, dann ist die Möglichkeit alternativer Perspektiven noch vorhanden. In diesem Fall, wenn er sich nicht definitiv eliminieren lässt, muss der autoritäre Staat die Schwerpunkte verändern, bzw. Werke müssten uminterpretiert werden. Z.B. müsste, wie im Nationalsozialismus der Fokus weg von Goethe zu Nietzsche verlagert werden, bzw. aus Faust müsste der germanische Übermensch werden, dessen Verbrechen durch das hohe Ziel gerechtfertigt sind. Im autoritären System haben auch die Geisteswissenschaften dann eine Funktion. Kraft der Autorität, die ihnen durch die staatliche Subventionierung zukommt, weisen sie dann nach, dass sich die Kritiker des Systems, die sich auf diese Werke berufen, irren. Sie weisen dann wortreich nach, dass das humboldtsche Bildungsideal nur im Sozialismus einlösbar ist oder Empathiefähigkeit eine Schwäche ist, die ganz nach Nietzsche in einer Umwertung aller Werte überwunden werden muss, wie im Nationalsozialismus.

Die Geisteswissenschaften könnten etwas leisten, wenn sie sich weniger als Wissenschaftler verstehen würden, was sie objektiv nicht sind, da schon das Erkenntnisobjekt der wissenschaftlichen Analyse nicht zugänglich ist und sich nicht mal genau bestimmen lässt, sondern als Künstler. Man kann auch das Unvermittelbare vermitteln, denn Künstler werden immer wieder verstanden. Allerdings kann das nicht gelingen, wenn man durch pseudowissenschaftliches Geschwätz Beliebigkeit produziert. Moderne Massenmedien können zwar jeden Unsinn hypen und tun das täglich, damit sich aber etwas im kollektiven Bewusstsein festsetzt, muss es zumindest im Zeitpunkt der Entstehung relevant und authentisch gewesen sein. Wenn Banky die Beliebigkeit des Hypes dadurch illustriert, dass er in ein Bild einen Mechanismus einbaut, der das Bild in dem Moment zerstört, in dem es ersteigert wurde, dann ist eben die Beliebigkeit authentisch ausgedrückt.

 

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