Wenn es in den Geisteswissenschaften um verstehen gehen soll, dann sicher nicht in dem Sinn, dass, wie in den Naturwissenschaften, ein kausaler Zusammenhang aufgedeckt wird und allgemein gültig, möglichst mathematisch, formuliert wird. Verstehen kann in den Geisteswissenschaften allerhöchstens bedeuten heißen, dass man etwas nachvollziehen kann, sich also vorstellen kann, warum bestimmte Personen in der jeweiligen Situation so oder so handelten. Verstehen hat ja auch von vorneherein diese zwei Bedeutungen. Verstehen im Sinne von rational erklären und verstehen im Sinne von nachempfinden sind zwei sehr verschiedene Dinge. Aber davon abgesehen, haben Artefakte auch ganz andere Ziele. Artefakte können aufrütteln oder für bestimmte Probleme sensibilisieren, sie können einen Gegenentwurf sein, zu einer subjektiv als gescheitert empfundenen Welt, sie können helfen, Erlebnisse anders einzuordnen, sie können schlicht begeistern. Verstehen ist eine Kategorie, die im Bereich der Geisteswissenschaften bedeutungslos ist.
Naturwissenschaften haben ein einziges Ziel. Erkennen von Zusammenhängen und dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Grundlagenforschung handelt oder um angewandte Forschung, wobei für die Geisteswissenschaften, diesbezüglich bestehen Ähnlichkeiten zur Volkswirtschaftslehre, ein ganz anderer Zusammenhang fatal ist.
Wenn Naturwissenschaftler nicht gerade Lehrer werden wollen, müssen sie niemanden für Inhalte begeistern. Der Ingenieur, der ein Getriebe konstruiert, braucht niemandem zu erklären, wie das Teil funktioniert, es würde auch die wenigsten interessieren. Das Teil muss lediglich funktionieren. Der Geist allerdings, was immer er konkret tut, wo immer er herkommt, was immer er ist, was immer er intendiert, wie immer er auch verbreitet wird, kann nur dann wirken und irgendeinen Effekt erzielen, wenn er irgendwie in das Gehirn von irgendjemandem eindringt und nur dann haben die Geisteswissenschaften eine Akzeptanz in der Gesellschaft und nur dann finden Absolventen der Geisteswissenschaften irgendwo einen Job.
Den Unterschied zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften kann man noch mit einer kürzeren Formel beschreiben. In den Naturwissenschaften sind die einfachen Fragen auch einfach beantwortbar. In den Geisteswissenschaften sind die einfachen Fragen die allerschwierigsten. Warum braucht der Mensch den Geist? Ein ganz einfache Frage, die man allerdings nicht beantworten kann, in der Blase sich aber nicht stellt. Dort werden Fragen gestellt, die gar nicht beantwortet werden müssen, aber die fundamentalen Fragen, werden gar nicht mehr gestellt.
Das gleiche Problem hat die Volkswirtschaftslehre. Vwler bezeichnen sich selber gern als so eine Art Ingenieur oder Arzt. Der Patient Wirtschaft hat ein Problem und der Volkswirt verabreicht die Medizin. Also Zins rauf oder runter, je nachdem, mehr Markt oder weniger Markt, Mindestlohn oder nicht, Umsatzsteuer rauf oder runter etc. etc.. Das Problem ist, der Volkswirt muss erst mal jemanden davon überzeugen, dass die Medizin überhaupt wirkt, was ihn vom Ingenieur unterscheidet. Die Maschine des Ingenieurs muss lediglich bestehenden überlegen sein, dann kann er das Ding auch verkaufen, aber er muss niemandem erklären, wie sie funktioniert. Der Wirtschaftswissenschaftler, so er berufstypisch arbeitet, muss aber erst mal die breite Bevölkerung davon überzeugen, dass seine Medizin wirkt, andernfalls sind die vorgeschlagenen Maßnahmen nämlich nicht politisch umsetzbar. Genau das, die Darstellung von ökonomischen Zusammenhängen, ist aber überhaupt nicht Gegenstand eines Studiums, spielt da schlicht keine Rolle.