Das ist schon sehr viel konkreter. Außerhalb der Wagnerwelt liegt, wenn auch teilweise unbewusst, eine Welterfahrung vor (Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt). Dichtung kann dann die Perspektive verändern, so dass belanglose Dinge bewusster wahrgenommen und interessant werden. Das trifft grundsätzlich, um mal ein triviales Beispiel anzuführen, auch auf ökonomische Zusammenhänge zu. Drei Brötchen beim Bäcker kaufen ist so trivial, dass jeder das erledigt, ohne sich zwei Tage später noch daran zu erinnern. Aus ökonomischer Sicht ist das ein höchst komplexer Vorgang. Das ist zwar kein Thema, über das jemand ein Gedicht schreiben würde, aber die Aussage ist auf jeden Fall Mal zutreffend. Wer will, kann auch ein komplexeres Beispiel nehmen. Wenn die Ode an die Freude oder die neunte Symphonie von Beethoven eine Welle um den Globus schickt, dann heißt das immerhin, dass die Menschen sich nach der ganz großen Ankunft sehnen. Das ist also A song of hope. Das ist ja schon mal was.
Freude heißt die starke Feder
in der ewigen Natur.
Freude, Freude treibt die Räder
in der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie in den Räumen,
die des Sehers Rohr nicht kennt!
Das mag objektiv falsch sein und die Evolutionstheorie von Darwin richtig. Die Freude treibt keine Blumen aus den Keimen, das ist mehr das survival of the fittest. Das Problem ist nur, dass die Evolutionstheorie von Darwin auch dann keine Vision von Ankunft hat, wenn man sie molekularbiologisch untermauert. Die Vision von großer Ankunft kann nur der Geist schaffen.
Wenn das Gedicht L’Albatros von Baudelaire berühmt ist, dann heißt das, dass viele Leute hochfliegende Träume haben, die aber an der banalen Wirklichkeit scheitern. Das ist auch schon mal nicht schlecht. Vielleicht wird dann mal die banale Wirklichkeit zu einer spannenden Sache.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Da reden die lustige Person und der Dichter aneinander vorbei, wobei es nicht notwendigerweise falsch ist. Man kann ganz prinzipiell die Dinge so oder so sehen. Wer grundsätzlich optimistisch gestimmt ist, sieht die Dinge eben so und wer grundsätzlich pessimistisch gestimmt ist, sieht die Dinge dann eben anders. Dichtung kann durchaus dazu führen, dass man sich selbst ein bisschen anders sieht, als es der Wahrheit entspricht. Mit diesem Vorspann allerdings, kann man zweifeln, dass die lustige Person dem Dichter zutraut, der Jugend schönster Blüte irgendetwas zu offenbaren. Dass die Rezeption eines Artefaktes abhängig ist vom Subjekt, ist offensichtlich. Jeder sieht also nur, was er im Herzen trägt, nimmt also wahr, was er kann und wie es ihm in den Kram passt.
Der Dichter stellt eher auf Dinge ab, die objektiv und zeitlos wahr und schön sind. Hierbei wird wieder die gleiche Metapher verwendet, die auch schon Leonor bei der Beschreibung von Torquato Tasso benutzt (…sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur…).
Wodurch besiegt er jedes Element?
Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge
Verdrießlich durcheinander klingt –
Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rhythmisch regt?
Darunter mag sich mancher etwas vorstellen können, aber die Wirkung der Dichtung ist damit nicht umfassend beschrieben. Der Autor würde sagen, die allgemeinste Formulierung wäre zu sagen, dass Dichtung die Dinge bedeutsam werden lässt, die Welt zum sprechen bringt, denn eine Welt, die aussieht wie ein ewig langer mit Linoleum bedeckter Flur mit langen Reihen aus Sperrholztüren links und rechts, so Gebäude gab es zuhauf in der ehemaligen DDR, ist stumm, steht dem Subjekt unvermittelt gegenüber. Ein Grund, warum es Dichtung gibt, seit ewigen Zeiten, dürfte derselbe sein, warum im Schwarzwald die Leute aus den Baumstümpfen im Wald, nachdem die Tanne abgesägt wurde, Eulen schnitzen.
Es sei konzediert, dass die Wirkung von literarischen Texten ein Mysterium ist und diese Wirkung kaum greifbar ist. Offensichtlich ist aber, dass die Sprache hier nur Ausdruck des Mysteriums ist, aber nicht das Mysterium selbst. Wenn der Text für das Eigentliche genommen wird, weil das empirische Substrat fehlt, dann landen wir bei der Intertextualität. Sie ist der Ausdruck der Misere. Wo das Substrat, auf dem Dichtung aufbaut, welches Dichtung verdichtet fehlt, was in der Blase der Fall ist, drehen die Wörter im Leerlauf. Zur Intertextualität gibt es unterschiedliche Definitionen, die aber alle in die gleiche Richtung gehen.
Intertextualität bezeichnet die Beziehung(en), die Texte untereinander haben. Traditionell werden darunter erkennbare Verweise auf ältere, ebenfalls literarische Texte gefasst. Mit dem Poststrukturalismus wurde der Begriff erweitert und zur Bezeichnung sämtlicher Relationen zwischen Texten. Intertextualität ist hier eine Grundeigenschaft von Texten.